Verwesung
vor, wenn Sie entlassen werden? Wollen Sie zurück nach London?»
Darüber hatte ich noch nicht nachgedacht. «Nicht sofort. Wahrscheinlich hole ich meine Sachen bei Sophie ab und gehe in ein …»
Plötzlich wurde der Vorhang zurückgerissen, und Simms trat ans Bett. Mit seiner ordentlich gebügelten Uniform und der Schirmmütze wirkte der stellvertretende Polizeichef in der tristen Krankenhausumgebung lächerlich schick. Doch sein wächsernes Gesicht war rot angelaufen und sein Mund nur eine schmale Linie.
Naysmith erhob sich vorsichtig. «Sir, ich wusste nicht, dass Sie …»
Simms beachtete ihn gar nicht. Er umklammerte seine schwarzen Lederhandschuhe so fest, als wollte er sie erwürgen. «Ich möchte mit Dr. Hunter sprechen. Allein.»
«Er wurde bereits vernommen. Ich kann …»
«Das ist dann alles, Detective Chief Superintendent.»
Naysmith sah wütend aus, konnte sich aber beherrschen. Er nickte mir knapp zu und stürmte davon. Die entfernten Geräusche des Krankenhauses verstärkten nur die Stille im Zimmer. Simms starrte mich finster an. Er schien sich kaum unter Kontrolle zu haben. «Was,
verdammt nochmal
, haben Sie eigentlich vor?»
Ich war nicht in der Stimmung für ein weiteres Verhör. Ich war todmüde und mir bewusst, dass ich ein albernes Krankenhausnachthemd trug. «Ich habe versucht zu schlafen.»
Sein Blick war kalt und feindselig. «Glauben Sie ja nicht, Sie kommen aus dieser Sache unbeschadet raus, Dr. Hunter, denn ich werde persönlich dafür sorgen, dass Sie zur Rechenschaft gezogen werden!»
«Wovon sprechen Sie?»
«Ich spreche über diese wilden Behauptungen, die Sie aufstellen! Dass Jerome Monk unschuldig ist, dass ihm ein Polizeibeamter Beweise untergeschoben hat! Glauben Sie ernsthaft, das wird jemand glauben?»
«Das sind nicht meine Behauptungen. Und ich habe nicht gesagt …»
«In den letzten Wochen hat Monk einen wehrlosen Mann getötet und um Haaresbreite zwei Polizeibeamte. Oder haben Sie das vergessen?»
Schlechtes Gewissen kam in mir auf. «Ich wollte nicht …»
«Eine ehemalige Polizeiberaterin kämpft seinetwegen um ihr Leben, trotzdem scheinen Sie einen verurteilten Vergewaltiger und Mörder freisprechen zu wollen. Es ist kein Geheimnis, dass den Menschen in Ihrer Nähe schnell einmal etwas zustößt, Dr. Hunter, aber selbst von Ihnen hätte ich eine solche Rücksichtslosigkeit nicht erwartet!»
Ohne dass ich mich daran erinnern konnte, hatte ich mich offenbar im Bett aufgerichtet. «Ich versuche nicht, jemanden freizusprechen, ich habe nur gesagt, was geschehen ist.»
«Ach ja, dieser ‹Anfall›, den Monk zufällig in Ihrer Anwesenheit hatte! Haben Sie vergesssen, dass er bereits die Gefängnisärzte dermaßen getäuscht hat, dass sie glaubten, er hätte eine Herzattacke?»
«Was ich gesehen habe, war nicht vorgetäuscht. Die Herzprobleme hat er auch nicht vorgetäuscht, er hat sie herbeigeführt. Das ist ein Unterschied.»
«Oh, bitte verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre Gutgläubigkeit nicht teilen kann, Dr. Hunter. Offenbar hat Monk Sie manipuliert. Er hat Ihnen diese … diese Lügengeschichte eingetrichtert und Sie dann gehen lassen, damit Sie genau das tun, was er will!» Er schlug sich mit den Handschuhen gegen den Oberschenkel. «Haben Sie eigentlich eine Ahnung, welchen
Schaden
das anrichten kann?»
«Für Ihren Ruf, meinen Sie?» Ich bereute sofort, die Beherrschung verloren zu haben, aber die Worte waren gesagt. Simms’ blasse Augen traten hervor. Die Hand, die die Handschuhe umklammerte, zuckte, und für einen Augenblick dachte ich tatsächlich, er würde mich schlagen. Doch als er wieder sprach, war seine Stimme kontrolliert. «Ich entschuldige mich, Dr. Hunter. Vielleicht hätte ich mit meinem Besuch warten sollen. Sie sind offensichtlich noch nicht wiederhergestellt.» Er streifte sich beim Sprechen die Handschuhe über und zwängte seine Finger in das enge Leder. «Ich hoffe, Sie denken ein wenig über meine Worte nach. Wir stehen auf der gleichen Seite, und es wäre eine Schande, wenn sich eine unsachliche These verselbständigen würde. Die Leute redenschnell, und ich weiß, dass Beratungsaufträge für die Polizei schwer zu kriegen sind.»
Mit völlig ausdruckslosem Gesicht starrte er auf mich herab. Als wären selbst seine Handschuhe kein Schutz vor Ansteckung, schob er dann den Vorhang mit seinem Jackenärmel zur Seite und ging hinaus.
Ich schaute zu, wie der Vorhang zurückfiel, während seine
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