Verwesung
Holzrahmen gesplittert war.
Alle Zweifel lösten sich in diesem Augenblick in Luft auf. Die Tür war angelehnt, doch ich schob sie nicht auf. Mir kamder Gedanke, es könnte doch das Haus eines Fremden sein und einen harmlosen Grund dafür geben, dass die Tür aufgebrochen war, aber ich tat ihn schnell wieder ab. Ich hatte das Gefühl, jemand würde hinter mir stehen, und drehte mich um. Aber da waren nur der finstere Pfad und die knackenden Zweige der Bäume.
Die Tür quietschte, als ich sie mit den Fingerspitzen aufschob. Dahinter kam eine dunkle Diele zum Vorschein.
«Jemand zu Hause?»
Die Stille war erdrückend. Ging ich hinein, könnte ich mich in ziemliche Schwierigkeiten bringen, aber im Grunde hatte ich keine Wahl. Wenn ich die Polizei anrief, was sollte ich sagen? Dass es Anzeichen für einen Einbruch in ein Haus gab, das vielleicht oder vielleicht auch nicht einer Person gehörte, die ich kannte?
Sollte der Besitzer nur seinen Schlüssel verloren haben, wirst du ziemlich blöd dastehen
, dachte ich und trat in die Diele. Erst wirkte alles normal, doch dann sah ich, dass die Schubladen einer alten Kiefernkommode am Fuß der Treppe offen standen und der Inhalt durcheinandergebracht war. Daneben lag eine zersprungene Vase, deren Scherben auf dem Boden wie Knochenstücke aussahen.
«Sophie!» Ich lief hinein und schaltete das Licht an. Keine Antwort. Mir war klar, dass ich die Polizei rufen sollte, doch hätte ich das getan, hätte man mich aufgefordert, draußen auf den Streifenwagen zu warten.
Dann könnte es zu spät sein.
Ich schaute schnell in den unteren Räumen nach. Sie waren durchwühlt, Kommoden und Schränke standen offen und waren ausgeleert, von Sofas und Sesseln waren die Polster gerissen worden. Da ich niemanden fand, lief ich nach oben. Jetzt fiel mir auf, dass auf den Stufen feuchte Fleckenwaren, doch als ich sah, dass es nur Wasser war, achtete ich nicht weiter darauf. Oben waren alle Zimmer zu, abgesehen vom Bad, wo die Tür angelehnt war.
Durch den Spalt konnte ich zwei nackte Beine auf dem Boden sehen.
Ich lief los. Direkt hinter der Tür lag eine Frau, sodass ich mich durch die Tür quetschen musste. Sie lag auf dem Rücken, der Bademantel war aufgegangen. Ihr Gesicht war von einem Arm und noch nassen Haarsträhnen verdeckt.
Kein Blut.
Das war mein erster Gedanke, doch als ich mich neben sie kniete, sah ich, dass eine Seite ihres Gesichts dunkelrot angeschwollen war.
Trotz dieser Verletzung und der Tatsache, dass ich sie seit acht Jahren nicht gesehen hatte, erkannte ich Sophie Keller sofort.
Ich strich ihr das Haar zurück und legte zwei Finger auf ihren Hals. Ihre Haut fühlte sich kalt an, aber der Puls ging gleichmäßig.
Gott sei Dank.
Ich drehte sie in die stabile Seitenlage und zog vorsichtig den Bademantel zu. Da ich keinen Handyempfang hatte, lief ich runter in die Küche, wo ich ein Telefon gesehen hatte. Meine Stimme war brüchig, als ich die Polizei anrief.
Dann eilte ich wieder hoch, holte eine Decke aus dem Schlafzimmer und breitete sie über Sophie aus. Schließlich setzte ich mich neben sie auf den harten Boden, nahm ihre Hand und wartete auf den Krankenwagen.
Kapitel 11
Ich schaute dem Krankenwagen von der Haustür aus hinterher. Das Blaulicht schwirrte grell zwischen den kahlen Bäumen hindurch, als der Wagen auf der Straße verschwand.
Es hatte fast vierzig Minuten gedauert, bis die Sanitäter eintrafen. Während dieser Zeit hatte ich mich nicht von der Stelle gerührt, sondern eingezwängt im Bad neben Sophie gehockt und ihr unaufhörlich versichert, dass Hilfe unterwegs war und alles gut werden würde. Ich hatte keine Ahnung, ob sie mich überhaupt hörte. Aber es gibt unterschiedliche Bewusstseinsstufen, und vielleicht nahm Sophie wenigstens meine Stimme wahr.
Außerdem hätte ich sowieso nichts weiter tun können.
Die Sanitäter hielten sich mir gegenüber bedeckt. Sophies Vitalfunktionen waren stabil, was schon einmal viel wert war. Doch man konnte unmöglich sagen, wie ernsthaft das Schädeltrauma war oder ob sie innere Verletzungen erlitten hatte. Als die Sanitäter sie gerade die Treppe hinabtrugen, traf die Polizei ein. Blaulichter durchbrachen die Finsternis und gaben den kahlen Bäumen des Obstgartens eine unheimliche, gespenstische Färbung. Ich stand hilflos daneben, während Sophie in den wartenden Krankenwagen gebracht wurde, und beantwortete die lustlos gestellten Fragen einer Polizistin.Als sie mich fragte, in welcher Beziehung ich zu
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