Verwesung
die blau marmorierten Hefter herausnahm. Schon in geschlossenem Zustand wühlten sie Erinnerungen auf, wusste ich doch noch, dass ich sie damals in großen Mengen gekauft hatte, um Geld zu sparen.
Ich verdrängte den Gedanken, legte sie vor mich hin und schlug den ersten Hefter auf. Ein paar alte Floppy Disks rutschten heraus, sorgfältig beschriftet, aber mit modernen Computern nicht mehr zu gebrauchen. Ich legte die veralteten Plastikteile beiseite und nahm die anderen Sachen aus dem Hefter. In einer Klarsichtfolie steckten die Fotos von dem Grab im Zelt der Spurensicherung. Als ich sie durchblätterte, sah ich wieder die durch den Kamerablitz grell beleuchteten, mit Torf überzogenen Überreste. Jedes Bild weckte Erinnerungen, aber sie konnten noch warten.
Ich widmete mich den eigentlichen Notizen über den Fall. Größtenteils handelte es sich um Computerausdrucke, dazwischen steckten jedoch auch ein paar von mir mit Kugelschreiber beschriebene Seiten. Obwohl ich wusste, dassich die Aufzeichnungen gemacht hatte, sahen sie irgendwie fremd aus. Mit der Zeit verändert sich alles, selbst die eigene Handschrift.
Ich war mir nicht einmal sicher, ob die Person, die das geschrieben hatte, noch existierte.
Auf einem Blatt war ein dunkler Fleck. Es waren nur ein paar vorläufige, hastig hingekritzelte Notizen darauf, und ich wollte das Blatt schon zur Seite legen, als es mir plötzlich einfiel.
Kara wischt den Joghurt weg, der Alice vom Löffel getropft war. «Tut mir leid, Papa. »
Es war wie ein Stich ins Herz. Mit einem Mal bekam ich keine Luft mehr. Ich ließ das fleckige Blatt auf den Tisch fallen, lief in den Flur und riss die Wohnungstür auf. Kalte, feuchte Luft strömte mir entgegen, die ich gierig einatmete. In diesem Moment war es mir egal, ob draußen jemand lauerte. Die nasse Straße schimmerte unter dem Licht der Laternen, das Wasser floss in die Gullys, ein konstantes Tropfen war zu hören und in der Ferne das Rauschen des Verkehrs: die Ruhe nach dem Sturm. Allmählich fühlte ich mich besser. Die beängstigenden Erinnerungen waren wieder gebändigt und verdrängt.
Bis zum nächsten Mal.
Ich schloss die Tür und ging zurück ins Wohnzimmer, wo die Akten und Papiere auf mich warteten. Ich nahm das Blatt mit dem dunklen Fleck vom Tisch und steckte es in den Hefter.
Dann trank ich einen großen Schluck Bourbon, setzte mich hin und begann zu lesen.
Kapitel 12
Als es am nächsten Morgen an der Tür klingelte, ahnte ich gleich, dass das nichts Gutes zu bedeuten hatte. Ich hatte über meinen alten Notizen zu der Monk-Ermittlung gebrütet, bis mir alles vor den Augen zu verschwimmen begann, und war erst nach drei ins Bett gekommen. Ich war mir sicher gewesen, dass ich irgendetwas übersehen hatte, dass zwischen den trockenen Aufzeichnungen irgendeine wichtige Information verborgen war, doch ich hatte nichts entdeckt, was ich nicht bereits wusste. Tina Williams’ Verletzungen waren entsetzlich, aber nicht völlig außergewöhnlich. Ich hatte seitdem schon schlimmere gesehen und sogar an der Ermittlung in einer noch immer ungeklärten Mordserie in Schottland mitgearbeitet, die erschreckende Ähnlichkeiten aufwies. Die Tatsache, dass es andere Täter wie Monk gab, die noch gefasst werden mussten, war bedrückend.
Der Lohn für meine Mühen waren schließlich nur erneute Kopfschmerzen und die Erkenntnis, dass acht Jahre sowohl eine Ewigkeit als auch nichts waren.
Gleich früh am Morgen hatte ich im Krankenhaus angerufen, um mich nach Sophie zu erkundigen, nur um mir erneut sagen zu lassen, dass man mir keine Informationengeben dürfe. Ich hatte für alle Fälle meine Nummer hinterlassen und dann überlegt, was ich als Nächstes tun sollte. Aber nicht lange. Wenn es Antworten gab, würde ich sie nicht in London finden. Ich rief in der Universität an, um zu sagen, dass ich ein paar Tage freinehmen wollte. Mir standen noch Urlaubstage zu, und Erica, die Sekretärin der Abteilung, hatte mir schon seit Wochen in den Ohren gelegen, dass ich eine Pause brauchte.
Allerdings hatte sie dabei wahrscheinlich an etwas anderes gedacht.
Da ich mir nicht sicher war, wie lange ich weg sein würde, packte ich genug ein, um eine Weile über die Runden zu kommen. Ich zog gerade den Reißverschluss meiner Tasche zu, als die Türklingel durch die Wohnung hallte. Sofort zog sich mein Magen zusammen.
Ich wusste, wer das war.
Terry sah aus, als hätte er kaum geschlafen. Was wohl auch der Fall war, wenn man bedachte, wie
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