Verwuenscht und zugenaeht
bekommen, weil â¦Â«
»Genug!« Ich kneife die Augen zusammen und halte mir die Ohren zu. An diese Geschichte möchte ich lieber nicht erinnert werden.
Mit jedem Satz begann mein Herz schneller zu schlagen und jetzt galoppiert es in meiner Brust wie ein wild gewordenes Tier.
Sie weià Dinge, die ich nie jemandem erzählt habe. Ich führe auch kein Tagebuch, also hat sie entweder in den letzten sechs Jahren in meinem Schrank gehaust und mich belauscht oder â¦
Nein, das ist absolut unmöglich. Es muss eine andere Erklärung dafür geben. Eine logische.
»Hör zu, ich muss jetzt zur Schule. Du setzt dich am besten wieder in den Schrank und wenn ich zurückkomme, reden wir weiter.«
Hoffentlich hört sie auf. Dann kann ich die Tür zumachen und meinen Bruder holen, damit er sie hinauswirft. Oder soll ich gleich die Polizei rufen? Leider habe ich keine Zeit mehr, mir zu überlegen, was die bessere Lösung wäre. Ich muss endlich los.
Ann zuckt die Schultern, dreht sich um und verzieht sich zurück in den Schrank. Die Tür schnappt zu und als ich ihren Anblick endlich nicht mehr ertragen muss, kommt es mir fast so vor, als hätte ich mir das Ganze nur eingebildet. Doch dann spähe ich noch mal durch einen Türspalt und sehe sie zwischen meinen Klamotten am Boden sitzen. Hinter ihr steht die weiÃe Schachtel, in der meine Puppe lag. Die Schachtel ist leer.
Ich schlucke und drücke die Tür wieder zu. Mein Wandschrank müsste ein Banksafe sein. Dann könnte ich sie für immer einschlieÃen. Denn irgendetwas sagt mir, dass ich sie nicht so leicht wieder loswerde.
I ch müsste längst in der Schule sein, habe aber noch nicht mal den halben Weg geschafft. Wie betäubt schlurfe ich vor mich hin. Meine Gedanken kreisen um die seltsame Begegnung von vorhin. Seit meiner Geburtstagsparty steht mein Leben Kopf. Es gibt eindeutig ein Vorher und ein Nachher.
Vorher: total normal.
Nachher: völlig verrückt.
Raggedy Ann! Kaugummikugeln! Und ein knallrosa Pony! Mehr muss ich dazu wohl nicht sagen. Als ich noch klein war, hätte ich das wahrscheinlich toll gefunden. Ich wäre vor Freude über ein eigenes Pony in die Luft gesprungen. Und wenn ich gewusst hätte, dass es rosa Ponys gibt, hätte ich bestimmt darum gebettelt, eins zu bekommen. Das Pony hat ja sogar die gleiche Eiswaffel auf dem Hinterteil wie mein Lieblingsspielzeug von Mein kleines Pony .
Ich bleibe abrupt stehen. Meine Kinnlade fällt mir fast bis auf die Brust. Meine Ohren beginnen zu klingeln und alles um mich herum verschwimmt.
Wenn doch alle meine Geburtstagswünsche endlich in Erfüllung gehen würden!
Nein!
Nein, nein, nein!
Das ist unmöglich!
Mit verschleiertem Blick stehe ich da und muss so schwer atmen, als hätte ich einen Tausend-Meter-Lauf hinter mir.
Ich starre ins Leere, spule die letzten Jahre zurück und versuche mich daran zu erinnern, was ich mir zu meinem neunten Geburtstag gewünscht habe, als ich noch von dieser dämlichen Raggedy-Ann-Puppe besessen war. Es war das Jahr, in dem mein Vater uns verlassen hat. Meine Mutter war praktisch nicht anwesend, mein Bruder versuchte mit der Scheidung klarzukommen, indem er mit Freunden um die Häuser zog, und Nicole war noch nicht hierhergezogen.
Ich hatte niemanden.
Ich wünschte, du wärst lebendig, Ann. Dann hätte ich eine echte Freundin.
Plötzlich habe ich das dringende Bedürfnis, mich hinzusetzen. Da es keine Bank in der Nähe gibt, lasse ich mich einfach mitten auf den FuÃweg fallen. Ich hocke mich in den Schneidersitz und lege den Kopf in die Hände, sodass mir meine Haare vors Gesicht fallen. Die Kälte des Bodens kriecht durch meine Jeans, aber es ist mir egal.
Das ist völlig unmöglich. Wünsche werden nicht wahr. Und Puppen werden nicht lebendig.
Andererseits hat sich Ann wirklich eigenartig aufgeführt. Sie hat meine Gestik, meine Mimik und sogar meine Art zu sprechen imitiert, als hätte sie noch nie ein Wort gesagt und müsste erst lernen, wie man sich bewegt.
Nein, nein, nein ! Das ist doch total bescheuert! Sie ist ein Mensch und keine Puppe!
Ich zwinkere ein paar Mal, aber alles um mich herum bleibt verschwommen. Mit sechs oder sieben habe ich ständig Kaugummi gekaut und Blasen gemacht. Habe ich mir damals vielleicht einen lebenslangen Vorrat an Kaugummis gewünscht? Ich zerbreche mir den Kopf und versuche mich an
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