Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
Versuch, sich an der Grenze zwischen Böhmen und Bayern festzubeißen, ebenso. Zwar war das Heer aus einer drohenden Einkreisung gerettet worden, doch der Winterfeldzug und der abschließende Rückzug nach Norden hatten die Truppenstärke schrumpfen lassen und die physische Verfassung und die Moral der Truppen untergraben. Auch die Loyalität der Armee gegenüber der schwedischen Krone ließ nach; von den 13 000 Kriegern des beweglichen Heeres, das im südlichen Teil von Braunschweig stand, waren nur rund 500 gebürtige Schweden und Finnen, der Rest waren deutsche Söldner. (Fast sämtliche nationalschwedischen und finnischen Verbände befanden sich stattdessen mit dem Stålhandske’schen Korps irgendwo in Schlesien oder waren wie üblich als Garnisonen in die zahlreichen Festungen des Küstenstreifens verlegt.) Ein Teil dieser Deutschen stand unter dem Einfluss des Geschehens auf dem Reichstag in Regensburg, wo viele dafür plädiert hatten, die Fremden aus dem Land zu werfen und den Krieg endlich zu beenden, und wo auch neue
avocatoria
– Rückrufbriefe – ausgesandt worden waren, um die Soldaten dazu zu bewegen, ihren ausländischen Dienst aufzugeben. Aber das Schlimmste war, dass seit geraumer Zeit weder Offiziere noch Soldaten ihren Sold bekommen hatten. Alles in allem herrschten Missmut und Feindseligkeit im Heer, aber diese Stimmung hatte sich in Grenzen gehalten, solange Banér den Befehl führte, denn er genoss ohne Zweifel bei Soldaten wie Offizieren großes Vertrauen. Als Banér seinen letzten Atemzug getan hatte, kochte die Unzufriedenheit über.
Nur wenige Tage nach Banérs Tod kam es unter den Obersten des schwedischen Heeres zur Meuterei. In diesem Heer von Söldnern waren sie so etwas wie das Rückgrat der Armee. Ein wenig vereinfacht, kann man sagen, dass jeder Oberst sein Regiment nicht nur führte, oft genug gehörte es ihm auch; der Verband stellte für ihn in der Regel einen erheblichen Wert dar, und zwar in Form von gekaufter Ausrüstung, investiertem Handgeld oder ausgebliebenem Sold, den er selbst hatte vorstrecken müssen, um seine Soldaten bei den Fahnen zu halten. Von den 30 Obersten schlossen sich 23 einem merkwürdigen Verbund an, der sowohl gegen die schwedische Krone als auch gegen die eigenen Soldaten gerichtet war. Für den Fall, dass die unzufriedenen Soldaten einen Aufruhr inszenierten, versprachen die Obersten, einander bei dessen Niederschlagung beizustehen. Sie verlangten auch von der schwedischen Krone, in bessere Quartiere verlegt zu werden und die früher versprochenen Belohnungen sowie den Sold für zwei Monate ausgezahlt zu bekommen: 2000 Reichstaler für jede Reiterschwadron, 1000 Reichstaler für jede Kompanie mit Fußvolk. Sie versprachen zwar, für Schweden und einen «gerechten und aufrichtigen Frieden» zu kämpfen, aber gleichzeitig forderten sie das Recht, an allen wichtigeren Beschlüssen, die in der Armee gefasst wurden, beteiligt zu werden, sonst würden sie ganz einfach den Befehl verweigern.
Der Kollaps war nahe. Wieder einmal.
Es war eine außerordentlich ernste Krise, zumal starke kaiserliche Verbände unter Piccolomini bedrohlich nahe standen. Auf schwedischer Seite traf man Vorbereitungen für den Fall, dass die Armee von einem totalen Zusammenbruch betroffen würde: In diesem Fall würde man versuchen, die brauchbaren Reste an einem Punkt zu sammeln, beispielsweise bei Wismar – offensichtlich befürchteten die Regierenden in Stockholm das Allerschlimmste. In dieser Lage hatten die verantwortlichen schwedischen Generale keine andere Wahl, als sich den Forderungen der Obersten zu beugen. Mit Hilfe einer Flut von Versprechungen, schönen Worten, Geschenken und Bestechungen bekam man die Armee wieder einigermaßen in einen marschfähigen Zustand.
Keine Seite erntete in diesem Sommer 1641 irgendwelche Lorbeeren.
Eine Weile sah es so aus, als könne im südlichen Teil von Lüneburg etwas Wichtiges geschehen. Dort waren lüneburgische Verbände seit gut einem halben Jahr damit beschäftigt gewesen, die von kaiserlichen Truppen besetzte Festung Wolfenbüttel zu zernieren. Die Lüneburger hatten die Oker, die an der Festung vorüberfloss, gestaut, und im Juni war das Wasser um und in der Festung so hoch gestiegen, dass die zwei Mühlen der Stadt außer Funktion gesetzt wurden und die Soldaten im Inneren gezwungen waren, ihre Zelte auf den hohen Wällen aufzuschlagen – die jedoch aus Sand waren und deshalb abzurutschen drohten. Die Kaiserlichen hatten
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