Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
regelmäßig und zuweilen brutal durchgeführten Visitationen war, die um sich greifende Mogelei zu unterbinden – unter anderem kam es vor, dass gerissene Holländer schwedische Seepässe benutzten, um den Zoll zu sparen –, aber die Zöllner ließen ein beträchtliches Maß an Willkür walten, und auch unschuldige Schiffer wurden misshandelt oder mussten mitansehen, wie ihre Ladung beschlagnahmt wurde.
Die Zolleintreibung im Öresund war schlimm genug, aber dazu kam die jahrhundertealte Rivalität zwischen Dänemark und Schweden um die Herrschaft über die Ostsee. Die Frage war zu diesem Zeitpunkt, am Beginn der vierziger Jahre, keineswegs entschieden. Herrscher beider Länder hegten Träume in diese Richtung, und der einzige Unterschied zwischen ihnen bestand darin, dass die Schweden trotz ihrer schlechteren Voraussetzungen erfolgreicher gewesen waren. Den Mitgliedern des Rats in Stockholm war wie den Generationen vor ihnen eingeimpft worden, dass die große Bedrohung aus dem Süden kam. Dort saß der Erbfeind, dort saß der Jüte: das Blutbad von Stockholm, Christian der Tyrann, Älvsborgs Auslösung und dergleichen. Für viele von ihnen wie Axel Oxenstierna war die Erinnerung an den Überfall 1611 und den nachfolgenden Frieden eine Wunde, die nie richtig verheilen wollte – und die man nie verheilen ließ. Viele hatten seitdem immer wieder betont, ein neuer Krieg mit Dänemark sei auf die Dauer unvermeidbar. Und nichts macht ein Ereignis unvermeidbarer als die Vorstellung, dass es eben dies sei. Denn obwohl ein solcher Krieg nicht ausgebrochen war, bestand das Gefühl der Bedrohung nach wie vor. Es saß wie ein Geruch in den Wänden, wie der Hass, die Irritation und die bösen Erinnerungen. König Christian tat auch sein Bestes, um die schwedische Paranoia am Leben zu erhalten – keiner der beteiligten Machthaber war bei diesem zynischen Spiel ohne Schuld. Ein übers andere Mal während des sich hinziehenden Krieges in Deutschland hatte er sich eingemischt, konspiriert, obstruiert, unterminiert, sabotiert. Es schreckte ihn nämlich, dass der arme Vetter im Norden auf der weltpolitischen Bühne eine so gefeierte Position erreicht hatte, und er ließ nie davon ab, auf Mittel und Wege zu sinnen, diesen höchst bedauerlichen Zustand zu korrigieren.
Es steht fest, dass Christian in provokativer Manier agierte. Das erkannte auch sein vorsichtiger Rat und warnte ihn vor den Folgen, falls er den Schweden zu hart zusetze. Der dänische König spielte mit hohem Einsatz. Seit dem letzten Zusammenstoß zwischen 1611 und 1613 hatten die Schweden mehrere Kriege gewonnen, und ihre militärische Schlagkraft war stark angewachsen. Dies hatte dazu geführt, dass die Mächtigen in Stockholm wie erfolgreiche Raufbolde nicht mehr lange zögerten, die Fäuste zu gebrauchen, wenn sie meinten, einem unerträglichen Affront ausgesetzt zu sein – einem wirklichen oder eingebildeten. Doch Christian kam zu der nüchternen Einschätzung, dass die Schweden von dem deutschen Abenteuer allzu sehr in Anspruch genommen waren, um es zu wagen, sich auf ein weiteres einzulassen. Das war ja logisch. Doch die schwedischen Machthaber dachten leider nicht ganz logisch. Sie saßen stattdessen mit geballten Fäusten da und häuften die dänischen Kränkungen an. Dann kam das Frühjahr 1643 . Zuerst leitete Christians Flotte eine Blockade Hamburgs ein, auf dessen Hafen er Anspruch erhob. Dann ankerten einige dänische Kriegsschiffe vor der pommerschen Küste und begannen schamlos, Zoll von schwedischen Schiffen einzutreiben, die auf dem Weg nach Stralsund und Greifswald waren. Dann kam ein Bericht von einem schwedischen Agenten in Helsingør, der mitteilte, dass Christian seine Flotte aufrüste. Dann konnte der Rat feststellen, dass Männer in dänischem Sold Agitation unter schwedischen Bauern im Grenzland betrieben. Danach streckte Christian Fühler zum Kaiser, zum Zaren und zum König von Polen aus, um zu sondieren, ob sie vielleicht an einer gegen Schweden gerichteten Allianz interessiert seien. Da platzte den Ratsherren in Stockholm der Kragen. Nach langen Überlegungen im Ratssaal des Stockholmer Schlosses Anfang Mai 1643 , bei denen die blasse 16 -jährige Königin Christina mit den großen Augen und der großen Nase zum ersten Mal anwesend war, beschlossen sie, sich laut und vernehmlich bei Christian zu beschweren und, falls dies nicht das gewünschte Ergebnis brachte – was niemand glaubte –, unverzüglich zum Angriff überzugehen. In
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