Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
deutschen Konflikt sich zu einem europäischen ausweiten lassen konnte. Doch obwohl die Mitglieder der Union wie der Liga einhellig beteuerten, dass es nur darum gehe, sich zur Verteidigung zusammenzuschließen, um nicht mehr – und obgleich es in beiden Lagern eine Anzahl von Personen gab, die sich intensiv darum bemühten, eine Versöhnung zustande zu bringen –, führten diese Allianzen durch ihre bloße Existenz dazu, das Misstrauen, die Furcht und die Spannung zu erhöhen. Der Konflikt drehte sich keineswegs nur um Theologie, aber dies war eine durch und durch religiöse Zeit, in der Atheismus eine logische Unmöglichkeit war, in der der Teufel selbst mitten in der Welt wirkte und wenige Dinge von größerem Gewicht waren als die Rettung der Seele. Und auch wenn der Konflikt nicht allein aus religiösen Zwistigkeiten entsprang, so war es die Religion, die dem Kampf seine Hitze und seine alles bezwingende Explosivität verlieh.
Stück für Stück löste sich der Kitt, der dieses große und bunte Reich zusammengehalten hatte. Die immer stärker auf die Spitze getriebenen Gegensätze lähmten viele der wichtigsten Institutionen des Reichs, die schon vorher mit gewissen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Aber nun hörten Einrichtungen wie das Reichskammergericht – das immer Schwierigkeiten gehabt hatte, Beschlüsse zu fassen – und der Reichstag – der immer ein unendlich zähes Forum war, das hauptsächlich einer farbenprächtigen, aber etwas polterigen Zusammenkunft von Gesandten glich – gänzlich auf zu funktionieren. In dem Maße, wie die politische Temperatur langsam, aber deutlich spürbar stieg, litt das gesamte geistige Leben; das literarische Leben zeigte klare Anzeichen von Sterilität und Verfall, Hexenhysterie und anderer Aberglaube grassierten wie nie zuvor, und immer weniger Studenten besuchten die Universitäten, an denen die früher so lebhafte Debatte abgekühlt und zu dogmatischen Hahnenkämpfen erstarrt war. Und irgendwo am jenseitigen Ende dieser anschwellenden Flut von tristen Missverständnissen, Furcht und miesem Gemauschel, Wut, Hass und Schmähworten, Schlägereien, Übergriffen und zerstreuten Aufläufen war ein Punkt zu ahnen, wo die ungelösten Gegensätze alle Dämme durchbrechen und in offenen Krieg übergehen würden.
Um das Jahr 1608 rasselten beide Seiten immer öfter und immer williger mit ihren Waffen. Reisende aus dem Ausland konstatierten den scharfen Gegensatz zwischen dem Rest Europas, wo man selten größere Mengen von Landsknechten sah, und einem in zunehmendem Maß waffengespickten deutschen Reich. Dort konnte nahezu jeder kleine Krähwinkelpotentat mit einem eigenen, herausgeputzten kleinen Heer protzen, während gleichzeitig wuchtige graue Mauern und Bastionen um die deutschen Städte in die Höhe schossen. Die Zeit des Soldaten war gekommen.
Der Krieg lag in der Luft. Alles stand auf Messers Schneide. Es bedurfte nur einer kleinen Erschütterung, um die Lawine in Bewegung zu setzen. Dieser auslösende Anstoß kam Ende Mai 1618 in Prag.
Dort war eine Anzahl protestantischer Delegierter aus ganz Böhmen versammelt, um ihre Unzufriedenheit mit dem Kaiser und seiner Politik zu erörtern. (Der Kaiser selbst hatte zu diesem Zeitpunkt vorsichtigerweise seine Residenzstadt verlassen – wie es hieß, aufgrund einer Warnung seines Astrologen.) Die Stimmung auf der Versammlung war erregt. Nach zwei Tagen schien es, als reiche es nicht mehr aus, dort in der vorsommerlichen Wärme zu sitzen und gerechtigkeitsglühende Rhetorik untereinander auszutauschen. An die hundert Personen, Delegierte und Neugierige, stürmten am Morgen des 23 . Mai hinauf zur kaiserlichen Burg auf dem Hradschin. Der lärmende Haufen bahnte sich mit Ellenbogenkraft den Weg in das «Grüne Zimmer» der Kanzlei, wo man die beiden lokalen Statthalter des Kaisers, Martinic und Slavata, antraf. Die Anführer des Haufens begannen, die beiden mit Anklagen zu überhäufen – sie seien Feinde der Religion, Feinde der Freiheit Böhmens und so weiter –, und ein hitziger Wortwechsel entbrannte. In dem warmen und überfüllten Raum konnten wenige sehen, was vor sich ging, aber alle hörten, wie die Stimmen sich zu Rufen steigerten und die Rufe zu Schreien wurden, als plötzlich die Fenster des Zimmers aufgerissen wurden. Die beiden zappelnden Statthalter wurden zu den Fenstern gezerrt und in die Morgenluft hinausgeworfen. Sie fielen durch die leere Luft, flatternd, fuchtelnd, brüllend. Nach einem Sturz von
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