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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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17 Metern plumpsten sie in den leeren Wallgraben des Palasts. Als ihr Sekretär Fabricius empört protestierte, warf der Haufen ihn auch hinaus. Als die Männer dort oben sich auf die Fensterbänke schwangen, um triumphierend das Werk ihrer Hände in Augenschein zu nehmen, sahen sie zu ihrer Überraschung, dass alle drei den Sturz überlebt hatten. Sie waren zwar blutig und schlimm zugerichtet, doch zwei von ihnen waren nicht einmal so schwer verletzt, dass sie nicht aufstehen konnten. Ein paar Schüsse wurden vom Fenster aus auf sie abgegeben, verfehlten jedoch ihr Ziel. Rasch bahnten sich die Diener der Statthalter den Weg zum Wallgraben, und es wurde ihnen erlaubt, die Verletzten fortzutragen. Alle drei Herabgestürzten überlebten – Fabricius wurde später vom Kaiser geadelt und erhielt den Namen von Hohenfall. Für die Katholiken war dies nichts Geringeres als ein Wunder, und sie erklärten, die Herabgestoßenen seien von Engeln aufgefangen worden oder die Jungfrau Maria habe sich offenbart und ihren Mantel um sie geworfen. Dem türkischen Sultan wurde berichtet, die drei seien auf einem enormen Berg von Akten, Protokollen und Promemorien gelandet, die nicht ungelegen aus der fleißig arbeitenden Kanzlei herausgequollen seien. Die Version der Protestanten war noch prosaischer: Die drei sollen ganz einfach auf einem Abfallhaufen gelandet sein.
    Dies war der berühmte Prager Fenstersturz, eine Handlung von höchster symbolischer Bedeutung: Mit einem Fenstersturz hatten die böhmischen Hussiten am Anfang des 15 . Jahrhunderts ihre Revolte gegen den Papst und den Kaiser eingeleitet. Und mit dem Fenstersturz von 1618 eröffneten die böhmischen Protestanten ihren Aufruhr gegen den Kaiser, den sie als einen fremden Fürsten ansahen, der ihnen seinen katholischen Glauben aufzwingen wollte. Der Aufruhr wurde jedoch innerhalb einiger Jahre niedergeschlagen und das Land einer brutalen Rekatholisierung unterzogen. Hier hätte es enden können. Das Geschehene wurde von vielen in Deutschland und im übrigen Europa als ein weiterer einheimischer Zwist der ziemlich gewöhnlichen Art angesehen, wie er seit der Mitte des 16 . Jahrhunderts im Reich immer wieder einmal vorgekommen war. Das Problem war nur, dass der Triumph über die protestantischen Rebellen so total und überwältigend war, dass Kaiser Ferdinand II . von einem übermütigen Siegesrausch befallen wurde, der ihm das Interesse nahm, eine Verhandlungslösung zu suchen. (Persönlich war Ferdinand liebenswürdig, voller Charme, heiter und großzügig, aber unbeugsam und brennend fanatisch in seinem Glauben, überwältigt von seiner eigenen Gerechtigkeit, emporgetragen von all den subtilen Weitläufigkeiten der jesuitischen Theologie und außerdem stark von der Idee bewegt, die protestantische Ketzerei ein für alle Mal auszurotten.) Und konfrontiert mit dieser unnachgiebigen Haltung, hatte Friedrich V., den die Böhmen zu ihrem neuen König gewählt hatten – eine wohlmeinende und kundige, aber schwache Persönlichkeit mit einer Neigung zu Apathie und Depressionen, einem Zeitgenossen zufolge «ein Fürst, der mehr über Gartenbau wußte als über den Kampf» –, mit weiterem Widerstand nichts zu verlieren. Ferdinand ging daher weiter, mit resoluter Miene, mit der Bibel in der einen, dem Schwert in der anderen Hand und mit dem über die Augen heruntergerutschten Siegerkranz, entschlossen, alle Unterstützung im Reich für den unglücklichen Friedrich, «den Winterkönig», wie er von den siegreichen Katholiken höhnisch genannt wurde, um jeden Preis auszuschalten. «Kaiserliche» [3] Truppen drangen in andere Territorien außerhalb Böhmens ein und fielen über Friedrichs Bundesgenossen her, einen nach dem anderen. Und die strenge Rekatholisierung, die in Böhmen eingeleitet wurde, schwappte auf eine Reihe anderer Länder im Reich über. Selbst die protestantischen Fürsten, die bis dahin Distanz zu den böhmischen Rebellen gehalten hatten, begannen, besorgte Mienen aufzusetzen und nach den Waffen zu tasten.
    Was als ein kleiner böhmischer Aufruhr begonnen hatte, verwandelte sich so in einen deutschen Bürgerkrieg.
    Es war trotz allem immer noch möglich, den Frieden im Reich wiederherzustellen. Leider kam es nicht dazu. Der Lauf der Ereignisse machte die große Lawine immer wahrscheinlicher, aber auf keinen Fall unausweichlich oder schicksalsbestimmt. Immer wieder das gleiche Bild – und dies ist ein Teil der großen Tragödie des Dreißigjährigen Krieges: Die

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