Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
Gewicht beigemessen zu haben. Einige von ihnen wandten sich nach kurzer Zeit an Stuyvesant in Neu Amsterdam mit der Bitte, sie zu holländischen Untertanen zu machen, doch er lehnte höflich ab. Daraufhin nahmen sie Kontakt zu den englischen Kolonialbeamten in Virginia und Maryland, südlich von Neuschweden, auf. Die sagten ja, und 15 Kolonisten machten sich auf den Weg zu den englischen Siedlungen. Der Mann, der vorübergehend nach Printz’ Abreise die Leitung übernommen hatte, sein eigener Schwager Johan Papegoja, raste vor Wut und schickte ihnen Indianer nach mit dem Befehl, die Flüchtenden um jeden Preis, auch mit Gewalt, zurückzubringen. Als die Indianer zurückkamen, trugen sie zwei abgeschlagene Köpfe von schwedischen Kolonisten, die bei einem Kampf getötet worden waren; die Übrigen hatten sich nach Virginia durchgeschlagen. Nach einiger Zeit traf ein Brief von einem der Geflüchteten ein, worin er die Kolonisten, die noch übrig waren, aufforderte, Neuschweden zu verlassen und in die englische Kolonie nachzufolgen. Nur rund siebzig Personen befanden sich nun noch in den schwedischen Siedlungen um den Delaware. Die Kolonie zerfiel allmählich.
Im Mai 1654 segelte das 40 -Kanonen-Kriegsschiff
Örnen
in den Delaware. Dies war der Entsatz, auf den die Menschen in Neuschweden fünf Jahre lang gewartet hatten. An Bord befanden sich rund 250 Personen: Kolonisten, Soldaten, Seeleute sowie der als neuer Gouverneur der Kolonie vorgesehene Johan Risingh, ein Pfarrerssohn, der in Uppsala und in den Niederlanden studiert hatte und in ökonomischen Fragen versiert war. Er hatte als Sekretär im Kommerzkollegium gearbeitet, als er den Auftrag annahm, nach Nordamerika zu reisen. Seine Aufgabe war nicht einfach. Die Regierenden in Stockholm hatten nur ein vages Bild der Lage am Delaware, sie wussten nicht einmal, ob es Neuschweden noch gab! Für den Fall, dass es in Schutt und Asche gesunken war, hatte Risingh den Auftrag, einen neuen Platz zu suchen, wo eine schwedische Kolonie angelegt werden konnte.
Dass gerade Risingh über den Atlantik geschickt wurde, spiegelt den Wandel wider, der sich jetzt um die Mitte des Jahrhunderts in der gesamteuropäischen Politik vollzogen hatte. Die schreckliche Zeit der Glaubenskriege war vorbei, aber ewiger Friede war dennoch nicht angebrochen. Neue, ausgeprägt handelspolitische Konflikte traten nun, wie bereits erwähnt, an die Stelle der einstigen Religionskriege. In ebendiesem Jahr zwangen englische Kriegsschiffe Portugal, sein Imperium dem englischen Handel zu öffnen, während zur gleichen Zeit ein zweijähriger Handelskrieg zwischen England und den Niederlanden zu Ende ging. Dies zeigt, dass die wirtschaftliche Konkurrenz immer aggressivere Formen annahm. Dieses verbissene Gerangel um Rohstoffe und Märkte war sehr real, während die ihm zugrundeliegenden Triebkräfte in gewisser Weise lauter Wahnvorstellungen und Hirngespinste waren. Viele Machthaber waren zu dieser Zeit fasziniert von einer neuen ökonomischen Modetheorie, die als Merkantilismus bekannt geworden ist. Und wie alle ökonomischen Theorien war sie teilweise eine korrekte Beschreibung der Realität, teilweise eine straff aufgetakelte ideologische Konstruktion. Sie war vor allem ein Instrument für alle, die mit lauter Stimme nach Ordnung riefen und sich in den Kopf gesetzt hatten, ihre lose zusammengehaltenen und vielfältig zusammengesetzten Reiche zu einer homogenen Einheit jenseits aller provinziellen Besonderheiten und kulturellen Vielfalt zusammenzukneten: ein Gesetz, ein Volk, ein Blut, eine Sprache, ein Nationalstaat – der Staat sollte hinfort mit der Nation zusammenfallen. Die nordischen Propheten des Merkantilismus predigten unter anderem die Errichtung
einer
Ökonomie, also dass man alle ökonomischen Schranken niederreißen solle, die es zu dieser Zeit in allen Reichen gab; alle internen Zölle solle man abschaffen, die Verkehrswege verbessern, eine gemeinsame Währung einführen – keinesfalls eine Selbstverständlichkeit zu dieser Zeit –, ein einheitliches Maß- und Gewichtssystem – auch dies keine Selbstverständlichkeit –, ein einheitliches Handelsrecht und so weiter. Die Triebkraft hinter dieser Vereinheitlichung war wiederum der Krieg. Der starke ökonomische Zuwachs, den diese Politik, so hoffte man, bewirken sollte, war kein Ziel an sich, sondern lediglich ein Mittel für die Fürsten in ihrem ewigen Kampf mit arglistigen Nachbarn und alten Feinden. Dieser Kampf schluckte stets
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