Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
unter einen einheitlichen Glauben zu zwingen; alles, was als Abweichung und Abweichler gedeutet werden konnte, wurde unter die Erde gebracht oder über die Grenzen davongejagt. Solche Maßnahmen wurden von allen ergriffen, die den neuen Typ des hart zusammengehaltenen und zentralisierten Nationalstaats bauen wollten; das Beispiel Schweden zeigte auch, wie viel Stärke und innere Ruhe dabei zu gewinnen war, wenn man die weltliche Macht mit einer bestimmten Glaubensrichtung verschmelzen ließ. Die Republik Venedig hatte dieser Versuchung sowie jener, die von allen Ideologen und philosophischen Scharlatanen – protestantischen, katholischen und griechisch-orthodoxen Zuschnitts – angeboten wurde, die «eine einzige Wahrheit» versprach und androhte, lange widerstanden; vielmehr war es ihr gelungen, ihre tolerante und die Vielfalt bejahende Botschaft in den westlichen wie in den östlichen Teilen des Kontinents zu verbreiten. Das Paradox war, dass jetzt, als der grauenhafte Dschagannathwagen des Dreißigjährigen Krieges bewirkt hatte, dass jede sogenannte reine Lehre ihre Glaubwürdigkeit weitgehend eingebüßt hatte, die Intoleranz zum ersten Mal in Venedig wirklich Fuß zu fassen begann.
Der Dreißigjährige Krieg war das allererste «europäische» Ereignis, das sämtliche großpolitischen Akteure des Kontinents in ein gemeinsames, alle seine Teile betreffendes Spiel einbezog, ein Ereignis, das zeigte, dass es jenseits «der Christenheit» wirklich etwas gab, das «Europa» genannt werden konnte und wo alle ein gemeinsames Schicksal teilten. Der zerstörerische Konflikt hatte paradoxerweise einige Völker einander nähergebracht. Oder, wie Schiller in einer berühmten Passage schreibt:
Der französische Calvinist hatte also mit dem reformierten Genfer, Engländer, Deutschen oder Holländer einen Berührungspunkt, den er mit seinem eignen katholischen Mitbürger nicht hatte. Er hörte also in einem sehr wichtigen Punkte auf, Bürger eines einzelnen Staats zu sein, seine Aufmerksamkeit und Teilnahme auf diesen einzelnen Staat einzuschränken. Sein Kreis erweitert sich … Jetzt verläßt der Pfälzer seine Heimat, um für seinen französischen Glaubensbruder gegen den gemeinschaftlichen Religionsfeind zu fechten. Der französische Untertan zieht das Schwert gegen ein Vaterland, das ihn mißhandelt, und geht hin, für Hollands Freiheit zu bluten.
Obgleich Venedig am deutschen Krieg nicht teilnahm, sondern gemäß seiner Tradition und trotz äußeren Drucks sich neutral gehalten und versucht hatte, Frieden zu vermitteln, war die Republik wie ganz Italien hart von den dreißig Jahren des Unfriedens betroffen. In einem Europa, wo eine bewaffnete Auseinandersetzung von solch apokalyptischen Ausmaßen stattfand und wo ideologische und religiöse Orthodoxie die Gefühle überschwemmten und die Sinne verdunkelten, war es schwer, unbeeinflusst zu bleiben. Kein Land, kein Reich, wie wohlhabend oder mächtig es auch sein mochte, konnte mehr eine Insel bleiben. Und die ökonomische Krise, gepaart mit der rigorosen Kreuzzugsstimmung, die das Papsttum und die Gegenreformation auf der italienischen Halbinsel hochgepeitscht hatten, trug dazu bei, dass das intellektuelle Klima sich veränderte und kälter, beschränkter und konservativer wurde. Die schneidenden Winde der großen Politik fegten auch über die Republik Venedig hinweg. Was der venezianischen Weltoffenheit schließlich den Garaus machte, war indessen ein einzelnes Ereignis, nämlich die schwere Pest, die die Stadt 1630 und 1631 heimsuchte, ein Drittel der Bevölkerung hinwegraffte und die übrigen zwei Drittel in einem Zustand des Schocks und der Ungewissheit zurückließ. Ein besonderer «Magistrato della Sanità» war danach eingerichtet worden, damit sich dies nicht wiederholen sollte. Eine seiner Maßnahmen hatte Erik bereits kennengelernt: Alle Einreisenden mussten mit einem besonderen Gesundheitszeugnis versehen sein. Diese Pest wurde in religiösen Begriffen gedeutet, als Strafurteil über eine Stadt, die allzu viel zuließ und allzu wenig verbot. Von diesem Zeitpunkt an gewannen die erbarmungslosen Kämpfer der Gegenreformation einen schnell wachsenden Einfluss in der Republik. Mit ihnen hielt ein großes Maß an religiöser Bigotterie und Gerede von «Reinheit» Einzug in Venedig und ertränkte die kulturelle und intellektuelle Vielfalt – und die Universität in Padua, die Galileo Galilei bereits verlassen hatte, wurde zur Anpassung gezwungen und
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