Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
entwickelte sich zu einem akademischen Stillwasser, wo man in einem gelehrten, aber nichtssagenden Meer von Geschwafel herumplanschen konnte.
Der Dreißigjährige Krieg hatte auch für Venedig zu verschärften wirtschaftlichen Problemen geführt. Alte Handelswege wurden abgeschnitten, große Märkte zerschlagen und wichtige Geschäftsbeziehungen zunichtegemacht, als die Armeen Länder und Reiche im Norden kurz und klein marschierten. Der Handel und die Produktion der Republik gingen noch weiter zurück, die Einnahmen der Banken und Reedereien wurden immer geringer, immer mehr Ausländer übernahmen die Seefahrt der Stadt, und immer weniger einheimische Kapitalisten zeigten ein Interesse daran, ihr Geld in anderem anzulegen als in Land und Luxus.
Für einen Besucher war wenig von diesem sachten Abgleiten aus dem Großmachtstatus in Obskurantimus und Verfall sichtbar. Auch ein Reisender, der wie Erik Jönsson im Winter ankam, wenn der Geruch von erfrorenem Seegras einem entgegenschlägt und der dichte Nebel, die berüchtigte
nebbia
, durch die kalten und feuchten Gassen treibt, konnte nicht umhin, von der Schönheit und dem Reichtum der großen Stadt gebannt zu sein: Die Kanäle und das im Sonnenuntergang leuchtende Wasser, die unzähligen Brücken, das Gewimmel der Boote, großer und kleiner, die «wie Tiere an die Wände gebunden» hin-und herschaukeln, die in Nebelfarben gemalten Silhouetten der Hausdächer, die Menge der spitzbogengeschmückten
palazzi
mit ihren tüllverhangenen Fenstern, angefüllt mit Reichtümern, die man nur ahnen, doch nie sehen kann, die unzählbaren Kirchenglocken und ihre dumpfen Bronzetöne, die Kirchenkuppeln, die Kolonnaden, die Balkons, die Kapitelle, die Chornischen, das Leistenwerk, die Statuen, die Engel, die Cherubinen, die Tritonen, die Karyatiden, der Marmor, das Blattgold, das Gold. Und insbesondere auf jemanden, der aus einem armen Reich im Norden kam, wo die Städte zumeist wild wuchernde Bauerndörfer waren, die aus Holz und Hoffnungen erbaut wurden, und die Triumphbögen aus Holz und bemalter Pappe bestanden, muss diese funkelnde Stadt auf dem Wasser einen unauslöschlichen Eindruck gemacht haben. Spürbar ergriffen äußerte sich Erik auch in einem Reisebericht über «Venetia», das ihm zufolge
aufgrund seiner wunderbaren Lage, großen Macht, Volksmenge, seines Reichtums, seiner schönen Paläste, vielen Kirchen, seines großen Handels und Verkehrs mit Nationen aus aller Welt, seiner großen Freiheit, verständigen Bewohner und blühenden Künste eine Welt für sich genannt werden sollte.
(Man beachte, dass Erik die venezianische Toleranz mit Wohlgefallen wahrnahm.)
In Venedig blieben Erik und die Brüder Cronstierna bis zum Herbst 1655 . Neben fleißigen Studien in Italienisch zusammen mit seinen zwei jungen Schützlingen suchte Erik die Malerakademien in der Stadt auf und bildete dort seine künstlerischen Anlagen weiter aus. Er musste nach lebenden nackten Modellen zeichnen. Einige dieser Skizzen sind erhalten. Sie sind mit schwarzer und weißer Kreide auf blauem Papier ausgeführt, und die meisten stellen nackte Frauen dar: füllige Damen mit breiten Hüften und runden Schenkeln. Die Skizzen sind unbeholfen und steif in der Linienführung und verraten große Unsicherheit im Zeichnen von menschlichen Figuren. Noch war er nicht mehr als ein geschickter Dilettant. Eriks Hauptinteresse galt jedoch nicht diesem Genre, sondern vielmehr der zivilen Architektur. Deshalb suchte er einen der damals in Venedig tätigen Vedutenspezialisten auf, um Anleitung zu bekommen.
(Veduta
war die Bezeichnung für eine bestimmte Malkunst, nämlich die naturgetreue Abbildung von Landschaften und Gebäuden, die gerade in Venedig von vielen Malern praktiziert wurde – ansonsten war es üblich, dass gemalte und gezeichnete Landschaften nicht von einer realen Vorlage ausgingen, sondern frei nach des Künstlers eigener Vorstellung komponiert wurden. Mit der Vedute öffnete sich die Malerei einer zunehmend realistischen Auffassung.) Wahrscheinlich war dieser Mann Joseph Heintz d.J., ein in Frankfurt am Main geborener, etwas über fünfzigjähriger Deutscher. Er war zu dieser Zeit der wichtigste Vedutenmaler in Venedig, und von ihm konnte Erik sich eine Reihe von Zeichnungen beschaffen, an denen er sich übte, indem er sie kopierte. So entstand unter den Händen des jungen Schweden ein Bild nach dem anderen, in Bleistift, schwarzer Kreide und grauer Lavierung: Städtische Milieus mit einem
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