Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
können, von ihrer eigenen verderblichen Natur verdorben zu werden. Briefe von Eltern an verschiedene Erziehungsberechtigte konnten strikte Anweisungen enthalten, den Kindern nicht ihren Willen zu lassen, sie nicht zu feine Kleider tragen zu lassen oder sogar, ihnen nicht zu viel Essen zu geben.
All dies – die Züchtigungen, das Fortschicken vom Elternhaus, die Abhärtung durch zuweilen absichtlich karge Bedingungen – kann einen dazu verleiten zu glauben, das Verhältnis zu Kindern sei von gleichgültiger Lieblosigkeit geprägt gewesen. Der Boden, aus dem die Liebe zwischen Eltern und Kindern zu wachsen hatte, war unzweifelhaft trocken und hart. Die Kindersterblichkeit war nach unseren Maßstäben erschreckend hoch. Zahlen aus dieser Zeit sprechen davon, dass zwischen 25 und 33 von 100 Neugeborenen in ihrem ersten Lebensjahr starben und nur jedes zweite Kind überhaupt das Erwachsenenalter erreichte. Die hohe Sterblichkeit scheint indessen die Eltern nicht gleichgültig gemacht zu haben für das Wohlergehen ihrer Kleinen, eher wurden sie in einen Zustand ständiger gefühlsmäßiger Bereitschaft angesichts eines Todes versetzt, der stets und überall lauerte. Kinder waren nur Leihgaben einer dunklen und strengen Gottheit, die sie zurückrufen konnte, wann immer es ihr passte. Es ist auch nicht schwierig, Eltern zu finden, die tief um ihre verstorbenen Kinder trauerten. Und gerade in diesem Jahrhundert macht sich ein wachsender Unwille dagegen bemerkbar, mit stoischem Gleichmut zuzusehen, wie ein Kind nach dem anderen dahingerafft wurde. Vielmehr ahnt man eine neue Entschlossenheit bei den Eltern, ihrer Ohnmacht gegenüber den grassierenden Krankheiten zum Trotz mit allen Mitteln ihre kranken Kinder zu heilen und vor dem Tod zu retten. Dass den Kindern keineswegs nur kaltes Desinteresse entgegengebracht wurde, zeigt sich auch daran, dass Kindermord – der nicht besonders häufig vorkam – als eines der verabscheuungswürdigsten Verbrechen angesehen wurde.
Auch die Menschen des 17 . Jahrhunderts liebten ihre Kinder. Die Geburt eines Kindes war ein großes und wichtiges Ereignis, und die Neugeborenen scheinen in der Regel sehr willkommen gewesen zu sein. Wo in Briefen aus dieser Zeit von Kindern die Rede ist, findet man leicht Beispiele von Fürsorge und Umsicht für die Kleinen. In einem schwedischen Buch über Erziehung und Ausbildung aus dem Jahr 1604 wurde warmherzig von all den Eltern gesprochen, die «unter großem Fleiß, Mühen, Fürsorge, Arbeit und Kümmernis ihre Kinder aufwachsen lassen und an dem Teuersten, das sie auf Erden besitzen, nie gespart haben um ihrer Erziehung willen». Ein Franzose, der in den dreißiger Jahren Schweden bereiste, hob besonders die große Kinderliebe hervor, die er bei den Bewohnern des Landes beobachtet hatte.
Es gilt auch zu bedenken, dass in dieser Zeit das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ein asymmetrisches war, in dem die Liebe der Kinder sich vor allem in Gehorsam erweisen sollte und die Autorität der Eltern eine gewisse Distanz voraussetzte. All dies zusammen mit dem Vorrang der Sippe vor der Familie führte dazu, dass die Kindheit oft von wenig Intimität, aber von desto mehr Zugehörigkeits-und Gemeinschaftsgefühl geprägt war.
Erik kam nicht dazu, viel Zeit im Pfarrhof von Simtuna mit dem Pastor Johannes Simtelius – der eine Vergangenheit als Pastor an der Storkyrka in Stockholm, als Feldprediger und Hauslehrer der Kammerpagen des Königs hatte – und seiner jungen Ehefrau Ingeborg zu verbringen. Schon ein Jahr danach, 1631 , wurde der kleine Erik zusammen mit den vier eigenen Kindern des Pastors weitergeschickt, um in Västerås zur Schule zu gehen.
Västerås hatte rund 1000 Einwohner, in dieser Zeit eine respekteinflößende Zahl für eine schwedische Stadt. Sie gehörte auch zu den wichtigsten Städten im Reich, schon seit dem Mittelalter. (Man muss allerdings dabei berücksichtigen, dass zu diesem Zeitpunkt das, was wir Mittelalter nennen – ein für die damalige Zeit unbekannter Begriff –, nur gut 100 Jahre zurücklag. Den großen Bruch, den irgendwann am Ende des 15 . Jahrhunderts zu erkennen wir uns angewöhnt haben, konnten die damals Lebenden nicht wahrnehmen.) Wie die meisten schwedischen Städte hatte auch Västerås ein stark mittelalterliches Gepräge. Die Häuser drängten sich planlos zusammen, und oberhalb ihres niedrigen Gewimmels erhoben sich zwei große Gebäude, die alle Reisenden von weitem sahen, ob sie über die
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