Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
Körpern ihrer getöteten Eltern Schutz suchen, Kinder, die auf Lanzen gespießt werden; Menschen, die hinter Pferden hergeschleift werden, Menschen, die in den Fluss gejagt werden; Menschen, die lebend in brennende Häuser geworfen werden. Die Schrecken erreichten ihren absoluten Höhepunkt durch ein großes Feuer, das sich durch den starken Wind rasch über ganz Magdeburg ausbreitete:
Sieh, wie die Menschen irren
in Scharen vor und zurück
unter den fallenden Mauern,
zwischen den brennenden Häusern,
und keiner kennt mehr sein Zuhaus.
Zeitgenössische Bilder zeigen Straßen, die übersät sind mit verstümmelten Körpern, und eine große und schöne Stadt, die in wogenden Massen von Rauch, Glut und Feuer dahinschmilzt; nicht ein Brand, sondern zehn, zwanzig, dreißig Brände, die in zuckenden Stößen zum Himmel aufsteigen, lange Flammen, die sich ineinanderschlingen, sich lösen und aufs Neue ineinanderschlingen, wachsen, bis alles einer gewaltigen Woge von Hitze gleicht – ein frühneuzeitlicher Feuersturm.
Als alles vorüber war, standen nur noch ein paar Reihen von Häusern um den Dom, der Rest war Asche und schwarze, eingestürzte Ruinen. Von den 30 000 Einwohnern der großen Stadt lebten nur noch zwischen 5000 und 10 000 . (Die überlebenden Protestanten wurden zu Kriegsgefangenen erklärt; die Männer erhielten die Möglichkeit, sich und ihre geraubten Frauen freizukaufen; diejenigen, die über keine Mittel verfügten, mussten als zu Dienern umgeschminkte Sklaven bei der Armee bleiben.) Selbst von katholischer Seite hieß es, etwas Ähnliches habe die Welt «seit der Zerstörung Jerusalems» nicht gesehen. Und Tilly selbst? Er war ja im Gegensatz zu dem hochgewachsenen, mageren Wallenstein kein zynischer Opportunist, der sich in den Krieg geworfen hatte, um Geld zu machen. Der Flame Tilly hatte vielmehr etwas von einem Idealisten – was in Fällen wie diesem noch fataler sein kann: Als tiefgläubiger Katholik wollte er ursprünglich Jesuit werden, beschloss aber dann, lieber in handgreiflicherer Weise für seinen Glauben zu kämpfen. Er war zu diesem Zeitpunkt Europas meistgefeierter und meistgefürchteter Feldherr, der die Truppen des Kaisers von Sieg zu Sieg führte. Seine strenge persönliche Moral und Frömmigkeit hatten ihm den Beinamen «der Mönch in Rüstung» eingebracht. Als er am Tag nach der Erstürmung in die rauchenden Ruinen Magdeburgs hineinritt, scheint er aufrichtig schockiert gewesen zu sein von dem, was er sah. Es stank nach verbranntem Fleisch aus den verkohlten Trümmerhaufen, Hunde streunten umher und nagten an den Leichen, und betrunkene Soldaten gruben in der Asche und in den mit Leichen angefüllten Kellergewölben nach noch mehr Beute. Es blieb nichts anderes übrig, als die Toten einfach in die Elbe zu werfen; vierzehn Tage lang rollten mit verkohlten Körpern vollbeladene Wagen zwischen der Stadt und dem Fluss hin und her.
Die Plünderung war Tillys Werk, aber der Brand war es nicht; hier in Norddeutschland brauchte er eine reiche, lebendige Stadt als Stützpunkt. Möglicherweise wurde die Stadt von einigen Verteidigern in Brand gesteckt, möglicherweise von Tillys betrunkener und außer Rand und Band geratener Soldateska. Das Geschehene war unheilverheißend, denn es offenbarte nicht nur, dass der Krieg im Begriff war, brutalisiert zu werden, sondern auch, dass die Kriegsherren die Kontrolle über die Ereignisse verlieren konnten, sodass am Ende ein Ergebnis stand, das eigentlich niemand gewollt hatte. Etwas Böses und Finsteres, das stärker war als der menschliche Wille, war in Deutschland entfesselt worden, etwas, das aus Geschehnissen wie diesem Energie gewann und nun wie ein großes und schweres Rad zu rotieren begann – sich drehte und drehte – in immer schnellerem Tempo.
Und die deutsche Sprache erhielt ein neues Verb: «magdeburgisieren».
Das Ereignis löste Wogen von Entsetzen und Abscheu in ganz Deutschland, ja in ganz Europa aus: Nicht weniger als 20 Zeitungen, 41 illustrierte Flugblätter und 205 Pamphlete verbreiteten die Nachricht über den Kontinent – für die damalige Zeit eine Art Rekord. Nicht dass es ungewöhnlich war, dass eine gestürmte Stadt Plünderungen und ihre Bewohner Übergriffen ausgesetzt waren – die Schweden hatten ja, wie eben erwähnt, in Frankfurt an der Oder gewütet. Was die Menschen schockierte, war das Ausmaß des Massakers. Die Vernichtung Magdeburgs ließ auch die ansonsten so kühlen protestantischen Potentaten vor
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