Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
gewöhnt waren. Anfänglich missglückte ihnen deshalb alles. Die französischen Generale leiteten ebenso schnell wie leichtfertig Offensiven sowohl in den Spanischen Niederlanden als auch in Süddeutschland ein. Außerdem eröffneten sie zwei ganz neue Kriegsschauplätze, indem sie in das strategisch wichtige Veltlin – um den Spanischen Weg abzuschneiden – und in die habsburgischen Provinzen in Norditalien einmarschierten. In Italien kam das Ganze rasch zum Stillstand, und in Süddeutschland mussten die Angreifer auf dem Absatz kehrtmachen und Hals über Kopf fliehen, um nicht von den Kaiserlichen eingekreist zu werden. Der Einfall in die Spanischen Niederlande endete nach einer Zeit großspurigen Wirrwarrs damit, dass die Holländer einrücken und das arg zusammengeschmolzene französische Heer auf dem Seeweg herausschaffen mussten, während die Spanier ohne größere Anstrengung mehrere gefallene Festungen zurückeroberten. Und in Paris streute Richelieu böse Briefe und spitze Fragen um sich aus, um herauszufinden, warum die Rekordsumme von 16 , 5 Millionen Talern, die er für die Kampagne dieses Jahres eingesetzt hatte, zu keinerlei Resultat geführt hatte.
Der Krieg hatte einen neuen Wendepunkt erreicht. Sein ursprünglicher religiöser Anstrich verblasste allmählich. Nie mehr sollten deutsche Protestanten und deutsche Katholiken in klar getrennten Blöcken gegeneinanderstehen. Da der Kaiser nun mit den meisten seiner deutschen Feinde Frieden geschlossen hatte, wurde der Widerstand gegen die Habsburger stattdessen zu einer Angelegenheit verschiedener fremder Mächte. Der deutsche Bürgerkrieg hatte sich endgültig in eine Art europäischen Weltkrieg verwandelt, und dies nicht, weil mehr ausländische Staaten darin verwickelt waren als früher, eher umgekehrt. Bis zum Ende des Kriegs sollten Schweden, Frankreich, Spanien, Holland und Dänemark, dazu auch Russland, England, Savoyen, Transsilvanien, der Kirchenstaat und Polen in der einen oder anderen Form in den Konflikt verwickelt werden. Es war die Sicht des Krieges seitens der ausländischen Mächte, die sich verändert hatte. Jede verführerische und schönfärberische Rhetorik vom Kampf für «das Recht der Protestanten» hatte sich in Luft aufgelöst. Realpolitischer Zynismus war an ihre Stelle getreten. Für die ausländischen Staatsmänner war Deutschland nur noch ein Schlachtfeld, eine Region, wo die eigenen Armeen auf der Jagd nach dem Feind herumziehen konnten, ohne allzu übertriebene Rücksichten auf Land und Leute nehmen zu müssen. Das bedeutete, dass der deutsche Krieg nun mindestens vier verschiedene Kriege umfasste, die zuweilen nebeneinander herliefen, zuweilen sich kreuzten und zu einem wurden. An seinem Grund fand sich nach wie vor, doch immer mehr verblassend, der Glaubenskrieg. Danach setzte er sich als Kampf um verschiedene konstitutionelle Fragen zwischen der kaiserlichen Zentralmacht und verschiedenen nach Selbständigkeit lechzenden Fürsten fort. Zum Dritten ging auch der deutsche Bürgerkrieg zwischen Regierenden und Untertanen weiter. Und nun war auch der vierte Konflikt, der größte und schlimmste von allen, ausgebrochen, der internationale Großkrieg. Eine neue Phase begann. Sie war ausgedehnter und quälender als die früheren, in denen die Kriegsbewegungen zwar immer destruktiver geworden waren und sich in einem immer höher getriebenen Tempo über immer weitere Teile des Reichs erstreckt, aber trotzdem selten eine entscheidende Bedeutung gehabt hatten. Eine ungeheure Tragödie begann, Konturen anzunehmen.
4 . Die Erde war mit Toten bedeckt
Die Spanier fallen in Frankreich ein – Johan Banér – ‹Er neigte zur Trunksucht› – Die Schlacht von Wittstock – Ein Versuch gegen Leipzig – Der elende Zustand der Armee – ‹Der Gestank von Charons Grotte hätte nicht schlimmer sein können› – Der Rückzug von Torgau – Notlage im Küstenstreifen
Im Jahre 1636 sah es so aus, als könne das Ganze für die Franzosen ein Ende mit Schrecken nehmen. Die Spanier schlugen zurück. Ein Heer aus den Spanischen Niederlanden überschritt Anfang Juli die Grenze nach Nordfrankreich, nahm in atemberaubendem Tempo ein paar Schlüsselfestungen ein und marschierte danach rasch nach Süden. Im August erreichte die Spitze des Heeres Pontoise, weniger als 30 Kilometer von Paris entfernt. In der französischen Hauptstadt brach Panik aus, Volksmassen veranstalteten Krawalle, und viele Bürger flüchteten in ihren Kutschen nach Süden.
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