Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
Frage gestellt wurde, denn wenn dies geschah, war auch der Platz des Menschen in der Hierarchie bedroht. Sich außerhalb dieser Regelsysteme zu stellen, war eine Unmöglichkeit, wenn man seinen Platz in der Gemeinschaft behalten wollte. Die Etikette wurde deshalb bis ins Detail verfolgt, auch nachdem sie jede praktische Bedeutung verloren hatte und alle, Europas Könige und alle gekrönten Häupter eingeschlossen, zu Sklaven unter ihrer Tyrannei geworden waren.
Nirgends jedoch war das Etikettengerangel so entfesselt wie in der internationalen Diplomatie. Dort gab es ja keine feststehende Hierarchie wie innerhalb der Länder, sondern es fanden ständige zeremonielle Beißereien nach allen Seiten statt. Jahrelang konnte man sich über die Frage streiten, ob die leeren Karossen der höheren Gesandten vor denen der niederen fahren sollten, wenn diese darin saßen. Auf dem deutschen Reichstag wurden endlose Debatten darüber geführt, inwieweit die fürstlichen Gesandten ebenso wie die kurfürstlichen ihre Stühle auf die Teppiche des Saals stellen konnten – es wurde ein Kompromiss geschlossen: Die fürstlichen Gesandten durften die vorderen Stuhlbeine auf die Teppichfransen stellen, nicht aber die hinteren. Aber nicht alle Probleme waren so leicht zu lösen. Allein die Frage, wie und wann man seinen Hut abnehmen sollte, konnte zuweilen schwer zu glättende Wogen der Erregung durch die internationale Diplomatie gehen lassen. Ein polnischer Gesandter ging einmal auf einen ausländischen Abgesandten los und ohrfeigte ihn, weil dieser den Hut aufbehielt, als er die Titel des polnischen Königs aufzählte, und ein russischer Zar soll den Hut auf dem Kopf eines italienischen Botschafters festgenagelt haben, weil dieser ihn zum falschen Zeitpunkt abgenommen hatte. Doch selbst wenn es nicht zu solchen Handgreiflichkeiten kam – und dies war keine Seltenheit –, war das Gerangel um Zeremoniell und äußere Formen die Regel.
Außer um Fragen der Titulatur, des Rangs und der Sprachen stritt man sich stets darüber,
wo
die Verhandlungen stattfinden sollten. In Friedensjahren fanden die Unterredungen zwischen schwedischen und dänischen Gesandten in der Regel auf einer Brücke zwischen den beiden Reichen statt, wo jeder von ihnen auf seiner Seite des genau berechneten Mittelpunkts (der dadurch markiert wurde, dass man eine passende kleine Lücke im Holzbelag öffnete) stand und redete. Eine weitere ständige Streitfrage war, in welcher Reihenfolge die Delegierten am Verhandlungsort eintreffen und wer wen zuerst grüßen sollte. Bei den Verhandlungen zwischen Polen und Schweden, die 1629 zum Waffenstillstand von Altmark geführt hatten, war man auf eine originelle Lösung verfallen. Die Gesandten wurden heimlich zu einem Zelt geführt, in dem jede Delegation einen eigenen Tisch hatte. Die Tische waren durch einen Vorhang voneinander getrennt, und erst als beide Gruppen versammelt waren, wurde der Vorhang zur Seite gezogen, wobei die Versammelten, wie kleine mechanische Puppen, im selben Augenblick die Hand zum Hut führten.
Dass die Unterhandlungen in Hamburg mit einem Maximum an Spitzfindigkeiten und Schwierigkeiten geführt wurden, ist auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Herrschenden noch keine großen Erfahrungen mit umfassenden internationalen Verhandlungen hatten. Die moderne Diplomatie entstand ja erst in diesem Jahrhundert. Auch hinter dieser Entwicklung lag der große Krieg, der Kontakte in einem bis dahin ungesehenen Ausmaß geschaffen und erzwungen hatte. Noch bestand ein Teil der alten Ordnung, in welcher Diplomatie etwas für unbekümmerte Amateure war und als ehrenvolle Nebentätigkeit zum eigentlichen Beruf betrieben wurde – so agierte beispielsweise der berühmte Maler Peter Paul Rubens bei verschiedenen Gelegenheiten als flämischer Gesandter. Doch im Verlauf des 17 . Jahrhunderts wurden die reinen Berufsdiplomaten immer zahlreicher und immer tüchtiger, und ihr Einfluss nahm ständig zu. Immer dichtere Scharen von Ambassaden und Gesandten reisten zwischen den Ländern hin und her. (Eine
Ambassade
war also noch keine fest ansässige Botschaft, sondern bezeichnete eine einmalige diplomatische Unternehmung, in der Regel von der aufgeblaseneren und pompöseren Art.) Einer der wenigen positiven Nebeneffekte des Krieges war, dass Schwedens Kontakte mit dem Kontinent in einem beträchtlichen Ausmaß zunahmen. Abgesandte verschiedener europäischer Mächte begannen, sich am Hof in Stockholm
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