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Verwüstung

Verwüstung

Titel: Verwüstung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. J. MacGregor
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Rollstuhl saß. »Hör mal, Nadine, wenn du ein Hühnchen mit mir zu rupfen hast, dann lass uns das doch tun. Ich habe keine Lust mehr auf diese Spielchen.«
    » Ein Hühnchen zu rupfen?« Sie lachte. »Ich habe gleich mehrere. Du solltest hier sein und Mira helfen, statt zu arbeiten, das steht ganz oben auf meiner Liste. Sie hat dir geholfen, indem sie den Tatort gelesen hat, dann könntest du zumindest auch ihr helfen.«
    »Hat Mira das gesagt, Nadine?«
    »Nun ja, nicht ausdrücklich.«
    Sein Blutdruck schoss in die Höhe. »Dann hör auf, über mich zu urteilen.« Die Worte waren scharf wie Glas, und sie schaute fassungslos. Sheppard wandte sich ab und schob den Rollwagen nach draußen die Rampe hoch, an der der Lieferwagen stand.
    Er lud eilig die Kisten ab, stapelte sie und ging dann die Rampe wieder hinunter, um mehr zu holen.
    Nadine war verschwunden, aber Mira kam mit einem Rollwagen durch den Raum und lächelte, als sie ihn sah: »Ich habe gehört, Nadine hat mit dir geschimpft«, sagte sie leise.
    »Bloß der übliche Mist.«
    Mira schnitt eine Grimasse und beugte sich über das Wägelchen, um ihn zur Begrüßung zu küssen. Er liebte die Weichheit ihrer Lippen, den leichten Kaffeegeschmack, der in seinem eigenen Mund verblieb, als sie sich wieder zurückzog und ihm den Wagen übergab. »Sie ist so gereizt, wie ich sie noch nie erlebt habe. Sie hasst den Gips, sie hasst es, in einem Rollstuhl zu sitzen, und so weiter und so weiter. Du bist bloß ihr Prügelknabe.«
    Sheppard wollte nicht über Nadine reden. Er schob den Rollwagen hoch zum Lieferwagen, und sie folgte ihm mit ein paar Kartons voller Sachen aus dem Büro. »Wo stellst du die ganzen Kisten hin?«, fragte er.
    »An die Wände in der Garage, in unseren Schrank, ins Esszimmer. Ich hoffe, dass noch genug Platz in der Garage bleibt, um die Autos hineinzustellen. Ich dachte, es wäre ganz klug, diesen Wagen draußen zu parken, quer vor dem Garagentor, als zusätzlichen Schutz.«
    »Gute Idee. Hast du Benzin für den Generator?« Sie nickte, und ihr wundervolles Haar bewegte sich so, dass es ihren Kiefer zu umfassen schien wie dunkle Hände. »Und wir haben auch Essen und Ausrüstung.«
    Als sie abluden und die Kisten stapelten, sprachen sie über die Evakuierung, darüber, welches Zimmer im Haus ihr sicherer Raum sein sollte, und was sie im Notfall mit Nadine tun würden. Ihr Gespräch erschien Sheppard eigenartig ruhig, als beredeten sie bloß, was es zum Essen geben sollte. Aber so war es oft mit Mira, wenn sie nervös wurde. Ihre Stimme blieb sanft und fließend, hypnotisch.
    »Hör mal, wenn es wirklich nötig ist, trage ich sie aus dem Haus. Aber es wird nicht nötig sein. Wir sind gut aufgestellt, Mira.«
    Kaum hatte er das gesagt, war ihm, als hätte er alles verdorben. Und er sah, wie sich Miras Kiefer plötzlich verkrampfte, Schatten huschten durch ihren Blick, schnell und scheu wie Füchse, und er wusste, dass sie denselben Gedanken hegte. Sie trat auf ihn zu und legte ihre Arme um ihn. Eine einfache Umarmung, die ihnen beiden Stärke geben sollte. Bloß war mit Mira selten etwas einfach.
    Sie gab ein leises, ersticktes Geräusch von sich und zuckte weg, der Blick wild und fremd, sie bewegte sich wie unabhängig von ihren Muskeln. Sie keuchte und krümmte sich, sie schlang die Arme um ihre Hüfte und sank auf die Knie. Dann beugte sie sich stöhnend vor und zurück, konnte sich nicht von dem losreißen, was sie sah oder spürte oder fühlte, oder was zum Teufel auch immer gerade geschah. Sheppard wusste, dass er sie nicht anfassen sollte, er wusste, dass er zulassen musste, dass, was auch immer es war, sich durch sie hindurcharbeitete. Er verstand nicht, was das hieß, es war einfach eine von Miras Regeln, und er respektierte sie – aber nur mithilfe reiner Willenskraft.
    Als er sie zum ersten Mal so gesehen hatte, las sie einen Tatort für ihn und hatte Scheuerstellen an den Handgelenken angenommen, dieselben Verletzungen, von denen sie behauptete, dass das Opfer sie trug. Er hatte das Phänomen über die Jahre Dutzende von Malen beobachtet, aber es erschreckte ihn immer wieder. Mira erklärte es damit, dass sie vor allem eine Empathin war, als würde ihm das etwas sagen.
    Aber aus allem, was Sheppard in den fünf Jahren, die er sie kannte, gelesen hatte, hatte er entnommen, dass »Empath« sich selten darauf bezog, die Verletzungen von jemand anderem zu übernehmen – sie zu erfühlen, ja, aber nicht, sie körperlich zu übernehmen.

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