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verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
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essen, wobei sie geistesabwesend wirkte. Sie sprachen nicht mehr, bis sie zu Ende gegessen hatten und die Serviererin das Geschirr abgeräumt hatte.
    „Harald, ich weiß nicht recht, wie ich es formulieren soll, denn ich will dich nicht verletzen. Bist du dir sicher, dass du mich liebst und nicht nur ein Bild, das du dir von mir gemacht hast?“
    „Wie meinst du das?“
    „Wir haben sehr viele Gemeinsamkeiten, das stimmt, und wir hatten tolle Gespräche über Kunst, Literatur und Politik. Die Erotik spielt zwischen uns auch eine sehr große Rolle. Man ist verliebt und findet den anderen toll. Aber Liebe ist ein starkes Wort für ein sehr tiefes Gefühl, das eigentlich erst nach langer Zeit entsteht, wenn man den anderen schon wirklich gut kennt, und ich kann nicht behaupten, dass wir uns wirklich gut kennen. Nähe hast du nicht zugelassen, und Persönliches hast du mich nie gefragt, das heißt, jetzt erst, seit du wieder aus Norwegen zurück bist.“
    „Ich hatte viel Zeit dort oben, um nachzudenken. Ich kann nur sagen, dass du mir viel bedeutest, und dass ich mir nichts mehr wünsche, als wieder mit dir zusammen zu sein.“ Er holte tief Luft. „Gib uns eine Chance.“
    Sie nickte, aber er wusste nicht, ob er sie überzeugt hatte.
    Nachdem beide lange geschwiegen hatten, sagte Harald. „Du siehst müde aus.“
    Angelika nickte. „Ich hatte eine sehr anstrengende Woche und heute einige sehr intensive Therapiesitzungen.“
    Bei dem Wort Therapiesitzung fiel ihm Lisa ein, und er dachte an ihr heutiges Gespräch. „Sag mal, wieso verlieben sich manche Patienten in ihre Therapeuten?“
    „Das ist ein weites und kompliziertes Feld, Harald.“
    „Ich würde es gerne verstehen.“ Bittend sah er sie an. „Der Patient sucht Verständnis, Anerkennung und Nähe, und Liebe und Erotik sind nun einmal die intimste Form davon.“
    „Was macht der Therapeut mit dieser Liebe?“
    „Man reagiert mit freundlicher Neutralität.“
    „Nicht gerade erbaulich für den Patienten.“
    „Für den Therapeuten häufig auch nicht.“
    „Wieso?“
    „Weil die Patienten meist den starken Wunsch verspüren, über ihre Gefühle und oftmals auch über ihre sexuellen Phantasien zu sprechen. Der Therapeut, ein Mensch wie jeder andere mit einem eigenen erotischen Leben, kann dann, wenn er den Patienten selbst attraktiv findet, schon sehr ins Schwitzen geraten.“ Sie sah auf die Uhr und sagte: „Harald, ich bin wirklich sehr müde. Ich würde jetzt gerne gehen, und wir sehen uns ja auch morgen.“
    Er war etwas enttäuscht, ließ es sich jedoch nicht anmerken. „Ich lade dich ein.“
    „Nein, danke. Du hast mir so schöne Geschenke gemacht. Ich finde, das reicht.“ Als die Kellnerin kam, zahlten sie getrennt, und Harald holte anschließend die Jacken und half Angelika in den Mantel. Draußen vor dem Restaurant fragte er sie, ob sie es weit zu ihrem Auto hätte.
    „Nein. Soll ich dich vielleicht irgendwo absetzen?“
    „Danke, das brauchst du nicht. Ich gehe zu Fuß.“
    „Dann bis morgen.“
    *
    Harald betrachtete sein Werk. Er hatte zwei große Zimmerpflanzen gekauft. Die Palme stand schräg vor dem Bett, während er den Benjamini Ficus im Wohnzimmer in die Nähe des Fensters gestellt hatte, denn er brauchte Licht. Außerdem hatte er auf dem Flohmarkt ein Bett erstanden, in das seine Matratze passte, und zwei Regale, die er ins Wohnzimmer gestellt hatte, um dort die Bücher, die bisher auf dem Boden gelegen hatten, einzusortieren. Ein Phonoschrank beinhaltete nun seine Schallplatten, der Plattenspieler stand oben auf. Der Schlafsack war in seiner Kammer gelandet. Stattdessen hatte er eine Wolldecke gekauft und sie und ein Kissen mit frisch erworbener Bettwäsche überzogen. Ins Wohnzimmer hatte er einen zweiten kleinen quadratischen Tisch gestellt. Der rote Knautschsessel hatte Gesellschaft in Form eines schwarzen Sessels gefunden. Er hatte belegte Brote gemacht, Oliven, Mozarella, scharfe Peperoni, Käse und Fetakäse auf Teller gepackt und sie in den Kühlschrank gestellt. Jetzt stand er unter der Dusche. Er spülte sich die letzten Seifenreste ab, als es klingelte. Er fluchte, angelte nach dem Handtuch, das er sich um die Hüfte schlang. Er sah auf seine Armbanduhr, die auf dem Toilettendeckel lag. Es war halb sieben. Er tappte ins Wohnzimmer und wollte nach seiner Jeans greifen, als es erneut klingelte. „Verdammt noch mal“, schimpfte er, ging in den Flur, wo er nasse Fußspuren hinterließ, und riss die Wohnungstür

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