verwundet (German Edition)
Therapeut sozusagen übermannt wird von seinen Gefühlen?“
„Dann muss die Therapie abgebrochen werden. Engere Beziehungen, Freundschaften oder gar sexuelle Kontakte dürfen nicht stattfinden. Das ist mit dem Berufsethos der Psychotherapeuten nicht vereinbar.“
„Ich stelle es mir sehr schwierig vor, wenn beispielsweise eine hübsche Frau vor mir säße und dauernd ihre sexuellen Phantasien vor mir ausbreiten würde.“
„Ja, das ist nicht einfach.“
„Hast du auch mal eine Therapie abbrechen müssen, weil du...“
Als er ihre erhobene Augenbraue sah, stoppte er sich. „Ach, nicht so wichtig. Wollen wir tanzen?“
Angelika sah ihn nachdenklich an, erhob sich dann aber und folgte ihm zur Tanzfläche. Er legte den Arm um sie. „Was hat denn eigentlich deine Mutter zu dem Spruch von Hesse gesagt?“
„Gar nichts. Sie hat nur den Kopf geschüttelt und sich wohl immer gefragt, von wem ihre Tochter diesen versponnenen Geist hatte. Ich habe die Sprüche regelmäßig ausgetauscht, und sie hat sie sich immer sehr genau durchgelesen. Meine Mutter ist eine eher einfache und völlig unpolitische Frau, die in einem Tante Emma-Laden gearbeitet hat, die lebenstüchtig und von einer bodenständigen Intelligenz ist. Damals hat sie mich aber doch manchmal so betrachtet, als ob sie mich irgendwie verstünde. Sie ist eine sehr verschwiegene Frau und teilt ihre Gedanken selten mit.“
„Siehst du ihr ähnlich?“
„Nein, gar nicht. Ihren Worte nach komme ich sehr nach meinem Vater.“
„Das muss ja ziemlich hart für sie gewesen sein.“
„Das glaube ich auch.“
Harald war erleichtert, dass sich die Stimmung zwischen ihnen wieder verbessert hatte. Wenn er ein Lied kannte, summte er mit. „Stört es dich?“
„Überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil!“
Er wollte sie gerade noch enger umfassen, als das Orchester eine Pause ankündigte. Als Harald vor sich hin grummelte, sagte sie lächelnd. „Es ist die Erste, seit wir hier sind.“
„Ja, ich weiß ja. Es ist nur so schön mit dir.“
Sie erwiderte nichts und verließ die Tanzfläche.
Wieder am Tisch angekommen, fragte Harald: „Hast du noch mehr Aphorismen von Hesse parat?“
Sie überlegte eine Weile und sagte dann: „ Wer nicht in die Welt passt, der ist immer nahe dran, sich selber zu finden. Wer in die Welt passt, der findet sich nie, wird jedoch Nationalrat“
Harald griente.
„Oder: Nach meiner Erfahrung ist der ärgste Feind und Verderber der Menschen der auf Denkfaulheit und Ruhebedürfnis beruhende Drang nach dem Kollektiv, nach Gemeinschaften mit absolut fester Dogmatik, sei diese nun religiös oder politisch! “
Haralds Grinsen wurde immer breiter.
Angelika lachte. „Ich glaube, dass er meine Antennen für Autoritätsgläubigkeit sehr geschärft hat. Darum haben mich wahrscheinlich auch die demokratischen Prinzipien der israelischen Kibbuzim so angesprochen.“ Harald nickte. „Herbert hat das bei Katjas Brunch erwähnt. Wie kamst du auf diese Idee?“
„Ich habe mich, wie du ja auch, gerieben an der Geschichte unseres Landes. Als Jugendliche habe ich es sogar gehasst, eine Deutsche zu sein. Ich war empört, dass durch Adenauer viele Nazis, die in hohen Ämtern waren, wieder in ihre Jobs gelangen konnten, seien es Richter oder sonstige hochgestellte Persönlichkeiten aus anderen Berufssparten, oder auch Leute wie Gehlen. Der hatte schließlich erst für die Nazis und dann für den amerikanischen Geheimdienst gearbeitet. Durch Adenauer sind er und seine Mitarbeiter im Wesentlichen unverändert im Bundesnachrichtendienst untergekommen.“
„Das war schon eine verdammte Schweinerei!“ Angelika nickte und runzelte die Stirn. „Ich fand es auch unmöglich, dass Hans Globke, der maßgeblich an den Nürnberger Gesetzen beteiligt war, erst Ministerialdirigent und dann sogar Leiter des Bundeskanzleramtes wurde und somit zu Adenauers engstem Führungszirkel gehörte.“ Sie seufzte: „Schließlich habe ich mich dann näher mit der Geschichte der Juden beschäftigt und fand es gut, dass dieses Volk endlich ein eigenes Land haben würde. Als sich die Gelegenheit bot, als Volontär in einem Kibbuz zu arbeiten, habe ich sofort zugesagt.“
„War es dann so, wie du es dir vorgestellt hattest?“
„Ja. Es war ein tolles Erlebnis, das ich nicht missen möchte.“
Der Ober, der sah, dass ihre Gläser leer waren, trat an den Tisch, und sie bestellten noch einmal vom selben Wein. Als er wieder gegangen war, fragte Harald: „Wie sah der
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