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verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
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den Recorder und ging ins Schwesternzimmer, in dem Schwester Katharina ihr lächelnd den Schlüssel für den Raum der Beschäftigungstherapie überreichte. Frau Dr. Dunkelmann hatte dafür gesorgt, dass sie ihn auch außerhalb der offiziellen Zeiten nutzen durfte, um dort zu malen. Am Wochenende war dort niemand, und so konnte sie sich dort ungestört aufhalten. Als Lisa den riesigen Raum betrat, fiel ihr wieder einmal auf, wie viel er ausstrahlte. Er war hell und freundlich. Die Sonne schien gerade ins Zimmer, und Lisa konnte in den Strahlen den wirbelnden Staub erkennen. Sie stellte das Kassettengerät auf einen Tisch, steckte den Stecker ein und spulte die Kassette zurück. Sie wollte versuchen, die Bilder, die sie beim Hören der Sinfonie gesehen hatte, aufs Papier zu bringen. Nachdem sie eine Weile vor der weißen Landwand gestanden hatte, ließ sie sich niedergeschlagen auf einen Stuhl sinken. Die Musik ließ dieses Mal nicht diese Bilder aufsteigen, sondern ganz andere. Sie schaltete den Recorder aus. Irgendwann erhob sie sich, stellte sich vor die Staffel und begann zu skizzieren, was sie innerlich vor sich sah. Es war ein großer Saal mit vielen Gitterbetten, in denen Säuglinge lagen. Es gab mehrere Reihen mit jeweils fünf oder sechs Betten, zwischen denen sich jeweils ein Gang befand. An einer der Wände standen ein Tisch und etwas, das aussah wie eine Babywiege. Sie selbst stand außerhalb des Raumes, in dem alles weiß war. Sie konnte durch die Glaswände hinein schauen. Viele der Säuglinge hatten puterrote Gesichter vom Schreien, die sich von der weißen Bettwäsche abhoben, die kleinen Gesichtchen nass vom Weinen, die zahnlosen Münder verzerrt oder weit offen. Eine Schwester kam vorbei und sagte zu ihr: „Hier hast Du auch schon gelegen.“ Lisa spürte die Tränen nicht, die nun an ihren Wangen herunterliefen. Wie sollte sie diese schreckliche Einsamkeit einfangen und darstellen? Die Glaswände ließen keinen Laut durch. Sie konnte den Schmerz der Babys sehen, aber nicht hören. Mit einem Schluchzen schlug sie die Hände vors Gesicht. Als sie ein Geräusch hörte, zuckte sie zusammen, drehte sich um und sah Frau Dr. Dunkelmann hinter sich stehen.
    „Entschuldige Lisa. Ich wollte dich nicht erschrecken.“ Lisa gab keine Antwort. Täuschte sie sich oder las sie Trauer in den Augen der Ärztin? Schließlich wandte sie sich wieder der Leinwand zu. „Ob ich es je schaffen werde, Gefühle in Bilder umzusetzen?“
    „Du schaffst es doch schon sehr gut, Sprachlosigkeit darzustellen, das Leid der Säuglinge, denen niemand zuhört.“
    Lisa fuhr herum. Ein einziger Satz, der sie wie ein Dolch mitten in die Brust traf. Sie starrte die Ärztin an. „Das ist doch heute auch nicht anders.“
    „Dann bin ich also Niemand?“
    „Na ja, es ist ja auch Ihr Job, Leuten wie mir zuzuhören.“
    „Glaubst du das wirklich? Glaubst du wirklich, dass ich dir nur zuhöre, weil ich dafür bezahlt werde?“
    Lisa schwieg.
    Frau Dr. Dunkelmann sagte: „Herr Wiebke wird nicht bezahlt.“
    „Ja, Harald versteht mich. Er ist ja selber nicht gerade glücklich.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust, ihr Gesichtsausdruck war abweisend. „Und kommen Sie mir nicht wieder mit diesen Phrasen, dass dieses Gefühl aus der Kindheit stammt. Es ist eben so, dass von kaputten Menschen niemand etwas wissen will.“ Sie drehte sich zur Leinwand. „Und überhaupt sind wir Menschen doch nur Inseln in einem riesigen Ozean. Wir können einander niemals erreichen.“ Als sie keine Antwort erhielt, wandte sie sich wieder der Ärztin zu, deren Gesicht bedrückt wirkte. „Was machen Sie überhaupt hier?“
    Die Psychiaterin erhob sich. „Ich wollte nach dir sehen, Lisa.“ Für einen Augenblick sahen sie sich schweigend an.
    Schließlich sagte Lisa. „Sie sind traurig.“
    Frau Dr. Dunkelmann wandte sich zum Gehen. „Ja.“
    „Warum?“
    „Weil ich das Gefühl habe, bei dir zu versagen.“ Auf dem Weg zur Tür fuhr sie fort: „Ich habe nichts erreicht, außer dir das Gefühl zu vermitteln, dass ich dir nur zuhöre, weil ich dafür bezahlt werde.“ Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss.
    Als Lisa ihr am nächsten Tag zur gewohnten Zeit gegenüber saß, hatte sie immer noch den schmerzenden Kloß in der Brust, der sich gebildet hatte, seit die Ärztin sie gestern verlassen hatte. „Ich will nicht, dass Sie traurig sind. Das tut mir weh. Ich dachte doch nicht, dass Sie...“ Sie hob die Hände, ließ sie wieder fallen und

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