verwundet (German Edition)
auf ihre Armbanduhr. „Die fünfzig Minuten sind bald um. Wir müssen uns noch...“
„Wieso sind es eigentlich fünfzig Minuten?“
„Das ist die übliche Zeit. Da man mehrere Analysanden hintereinander hat, braucht man die zehn Minuten zwischen den Sitzungen, um sich auf den nächsten Patienten einzustellen. Aus diesem Grunde bin ich auch telefonisch nur in den letzten zehn Minuten bis zur vollen Stunde zu erreichen. Die Sitzungen müssen ungestört ablaufen.“
Er nickte.
„Wir müssen nun noch über die Art der Therapie sprechen und darüber, ob Sie noch einen weiteren Therapeuten...“
„Ich möchte zu Ihnen“, fiel er ihr ins Wort.
„Vielleicht möchten Sie das noch einmal überschlafen.“
„Das brauche ich nicht. Hätten Sie denn einen Platz für mich?“
Sie nickte. „Ein anderer Anwärter ist abgesprungen. Ich könnte Ihnen Termine montags, dienstags und donnerstags um achtzehn und mittwochs um acht Uhr anbieten.“
Erleichtert nickte er. „Über die verschiedenen Arten haben mich Ihre Kollegen schon aufgeklärt. Nur eine Sitzung reicht mir nicht, und da ich nur sechs Monate Zeit habe, würde ich gerne viermal pro Woche kommen. Was ich jedoch keinesfalls möchte, ist eine Psychoanalyse.“
„Darf ich fragen, warum nicht?“
„Ich möchte nicht auf der Couch liegen, an die Decke quatschen, um ab zu mal ein bedächtiges Hm als Antwort zu erhalten. Ich möchte, dass Sie mich als Person sehen und nicht, dass Sie versuchen, mich in irgendwelche Theorien zu quetschen. Ich will nicht von Ihnen hören, dass ich meinen Vater umbringen will, um meine Mutter flachzu...“ Er räusperte sich. „Sie wissen schon. Von diesem Ödipusgequatsche halte ich nämlich nichts. Und das ist ja wohl einer der Hauptgedanken der Psychoanalyse, wenn ich richtig informiert bin.“ Er hielt inne. War er zu forsch?
„Bitte fahren Sie fort.“
„Ich möchte mit Ihnen reden. Verstehen Sie? Ich komme mir vor wie eine Flasche, in der Überdruck herrscht. Aber ich bin ein Rationalist. Mich bekommt man nur mit Logik zu fassen. Ehrlich gesagt, habe ich früher Psychologie für Quatsch und Gelaber gehalten. Erst durch Angelika hat sich das etwas verändert. Sie ist der Meinung, dass jeder Patient eine eigene Form der Therapie benötigt, und dass man nicht starr an Lehrmeinungen oder Techniken kleben darf. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich mag nämlich kein Schubladendenken!“ Frau Dr. Donner sah ihn nachdenklich an. Dann sagte sie: „Eigentlich gibt es die Psychoanalyse nicht mehr. Es hat sich viel getan in diesem Bereich und...“
„Auf die Couch bekommen Sie mich auf keinen Fall!“
„Herr Wiebke. Unsere Gespräche werden äußerst schwierig werden, wenn Sie mich keinen Satz zu Ende führen lassen.“
„Tut mir leid. Ich weiß auch nicht... ist sonst gar nicht meine Art.“
Sie nickte. „Man kann sich auch gegenüber sitzen, so wie jetzt. Das ist kein Problem. Ich würde sagen, dass wir mit drei Sitzungen pro Woche beginnen. Das scheint mir fürs erste ausreichend zu sein. Sollte Ihnen das wirklich nicht ausreichend erscheinen, könnten wir auf vier Sitzungen aufstocken, wobei Sie diese vierte Stunde allerdings selbst bezahlen müssten. Welche Tage würden Ihnen passen?“
Harald war erleichtert. „Mittwoch wäre schon sehr früh, da ich mit dem Zug herkommen muss Die anderen Tage wären mir lieber.“ Er stockte kurz und fuhr dann fort: „Ich würde sehr gerne zu Ihnen kommen.“ Sie erhob sich und reichte ihm die Hand. „Wir sehen uns am Montag um achtzehn Uhr, Herr Wiebke.“ Sie brachte ihn in den Flur. „Sie haben noch vier weitere Stunden, bevor ich den Antrag bei der Kasse stellen werde. Sie können also Ihre Entscheidung noch etwas überdenken.“
„Okay“, sagte er, während er seine Jacke anzog.
Sie nickte ihm noch einmal zu, bevor sie die Wohnungstür hinter ihm schloss.
Als er am Montag ihre Wohnung betrat, stand die Tür zum Sprechzimmer offen, was er als Aufforderung verstand, einfach einzutreten. Sie hatte offensichtlich gelüftet und war gerade dabei, die Fenster zu schließen. Heute trug sie eine Bluse und eine Hose und obwohl diese bequem geschnitten war, konnte er eine schmale Taille und einen wohlgeformten Po erkennen. Donnerwetter, dachte er, für ihr Alter hat sie sich aber gut gehalten. Ihre Haare glänzten. Irgendwann würde sie ganz weißes Haar haben, nicht so ein schmutzig wirkendes Grau. Sie wandte sich zu ihm um und begrüßte ihn wieder per Handschlag. Er hatte
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