verwundet (German Edition)
hatte ihn zur Premiere seines ersten Auftritts in einem öffentlichen Theater eingeladen. Er würde den Puck im Sommernachtstraum spielen. Da beide Briefe sehr herzlich waren, hatte er nach anfänglichen Bedenken schließlich zugesagt. Auch Frau Dr. Donner hatte ihm zugeraten, denn es sei gut, dass er mal wieder unter Leute käme, und außerdem ergebe sich vielleicht eine Gelegenheit, sich mit Angelika auszusprechen. Große Hoffnungen auf eine Versöhnung machte er sich allerdings nicht, denn er hatte noch immer ihr Gesicht vor Augen, als sie mit ihm gebrochen hatte. Momentan gab es eigentlich nur drei Dinge in seinem Leben. Seine Arbeit, seine Therapie, seine Auseinandersetzung mit Lisa. Ihre Briefe sprachen viele seiner Gedanken und Gefühle aus. Sie schrieb von ihren Einsichten und Erkenntnissen, die auch ihm manches Licht aufgehen ließen oder die er ähnlich empfand. Er ging sehr auf ihre Briefe und sie ein, hielt sich selbst jedoch etwas bedeckt, weil er Sorge hatte, dass sie vielleicht unbeabsichtigt etwas in der Therapie bei Angelika ausplaudern könnte. Stattdessen berichtete er ihr von den Tieren auf der Station. Es gab dort immer nette und lustige Begebenheiten, die er ihr erzählen konnte. Seine eigene Therapie nahm er inzwischen sehr ernst, auch wenn sie oft mehr als anstrengend war. Frau Dr. Donner holte Kindheitserinnerungen aus ihm heraus, die er scheinbar vergessen hatte; sie drang immer weiter vor in die Bereiche seines Unbewussten. Sie war unerbittlich, wenn sie merkte, dass er Ausflüchte gebrauchte und sich herausreden wollte, aber sie war auch immer sanft und warm, wenn er wieder einmal heulend vor ihr saß. Sie war herzlich, sehr mitfühlend und verständnisvoll und hatte einen feinen Humor. Sie brachte ihm bei, seine Gefühle zu reflektieren und sie adäquat auszudrücken. Es war, als sei ein Damm gebrochen, und nun quoll und sprudelte es aus ihm wie aus einer Ölquelle. Er redete mit Händen und Füßen, was sie manchmal zum Schmunzeln brachte. Sie neckte ihn dann und zog ihn damit auf. Mit Scham dachte er an seine Auftritte, als er versucht hatte, sie mit den Schilderungen seiner sexuellen Phantasien aus der Fassung zu bringen. Dennoch fühlte er sich immer noch sehr zu ihr hingezogen und träumte manchmal davon, mit ihr zu schlafen. Am Ende der letzten Sitzung vor seiner Reise nach Marburg, sie hatten sich schon verabschiedet, hatte er sich für sein früheres Verhalten entschuldigt und ihr gestanden, dass er noch immer sehr in sie verliebt sei. Er hatte erwartet, dass sie wieder sagen würde, dass das normal sei, aber sie hatte nichts erwidert, und er hatte ihren Augenausdruck nicht deuten können. So war er schnell aus der Tür geschlüpft, worüber er sich jetzt im Nachhinein ärgerte. Im Stillen hoffte er immer noch, dass sie doch etwas mehr für ihn empfände, mehr als für andere Patienten. Er fragte sich jetzt, wie sie wohl reagiert hätte, wenn er nicht bis zum Schluss gewartet, sondern es ihr mitten in der Sitzung gesagt hätte. Der Fahrkartenkontrolleur unterbrach ihn in seinen Grübeleien und verlangte nach der Fahrkarte. Nachdem er die Karte gestempelt hatte und in den nächsten Waggon gegangen war, wandte sich Harald seinem bevorstehenden Wochenende zu. Katja hatte für ihn ein Zimmer in der Pension gebucht, in der auch sie übernachtete.
Die blecherne Durchsage ertönte und teilte mit, dass der nächste Halt Marburg sei. Harald holte seine Reisetasche aus dem Gepäckfach und ging langsam Richtung Ausgang. Ihm schoss der Gedanke durch den Kopf, dass er vielleicht einfach weiterfahren sollte, aber schnell verwarf er diese Idee. Er würde nicht wieder davonlaufen. Der Zug hielt, und er stieg aus. Da sah er auch schon Katja, die ihm winkte. Bei ihr war Kai, der offensichtlich bester Laune war. Als die beiden heran waren, fiel Katja ihm um den Hals. „Harald, schön, dich endlich mal wieder zu sehen.“
Er war gerührt, als Kai ihn ebenfalls umarmte. „Wie geht es euch?“ fragte Harald.
„Bis auf mein Lampenfieber geht es mir gut, danke.“ Kai sah auf die Uhr. „Ich bringe euch noch zur Pension und muss dann leider gleich weiter.“ Er nahm sich Haralds Reisetasche und ließ seinen Protest nicht gelten. „Mensch, ich freue mich, dass du gekommen bist. Svenja lernst du leider wieder nicht kennen. Sie ist noch in England, denn sie hat ihren Studienaufenthalt dort verlängert.“
„Schade, auch, dass sie deinen ersten Auftritt nicht mitbekommt.“
Kai nickte. „Mam ist
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