verwundet (German Edition)
hatte es wieder einmal eilig und wollte den Weg abkürzen. Ich sprang auf einen bemoosten Stein, der plötzlich nachgab. Er hatte sich als Schlammsuhle erwiesen, so dass ich bis zur Brust im Dreck steckte. Die Wasserbüffel glotzen blöde, was ich in ihrer Grube zu suchen hätte. Der Revierpfleger, er war ein älterer, ganz behäbiger Mann mit Bauch, nahm seinen Filzhut ab, kratzte sich an der Glatze und fragte mich, was um alles in der Welt ich da triebe.“ Er grinste: „Damals fand ich das gar nicht so komisch.“
Lydia lachte. Er sah sie zum ersten Mal lachen. Ihr ganzes Gesicht veränderte sich, sie hatte viele Lachfalten und ihre Stimme hatte einen warmen volltönenden Klang. Wie charmant sie war! Schnell sprach er weiter: „Bei den Papageien hat die Arbeit auch Spaß gemacht.
Als ich einmal die Gitter und Glaswände mit dem Wasserschlauch abgespritzt habe, flogen sie in den Strahl, hoben ihr Gefieder, haben sich geduscht und dabei ein lärmendes Gezeter veranstaltet, wie Sie es sich nicht vorstellen können. Seit diesem Zeitpunkt habe ich sie immer abgebraust, es war für uns alle ein Spaß!“
„Das kann ich mir lebhaft vorstellen.“
Als er merkte, dass sie ihn versonnen betrachtete, schnippte er einen unsichtbaren Fussel von seinem Hemd. Wo blieben nur die Getränke?
Lydia erhob sich. „Entschuldigen Sie mich bitte für einen Augenblick.“
Er sah ihr nach, als sie zur Toilette ging. Der Kellner brachte inzwischen die Getränke.
Als Lydia wiederkam und sich setzte, fuhr sie mit dem Gespräch fort: „Hatten Sie auch mal Angst vor Tieren?“
„Und ob. Mit Kalle, dem Revierpfleger, der die Elefanten versorgte, hatte ich mich ein wenig angefreundet. Die grauen Riesen hatten Respekt vor ihm, aber mich kannten sie nicht. Einmal lotste Kalle mich auf ihre Anlage. Ehe ich mich versah, lief eine afrikanische Elefantenkuh mit wehenden Ohren auf mich zu. Sie glauben nicht, wie schnell die rennen können. Ich dachte, mein letztes Stündlein hätte geschlagen, da blieb sie einen halben Meter vor mir stehen. Ich war wie gelähmt und hatte mich daher nicht von der Stelle gerührt. Kalle lachte nur, meinte, das sei genau die richtige Reaktion gewesen. Jetzt solle ich ihr eine Brezel geben, dann würde sie das immer so machen. Puh, hab ich damals geschwitzt. Mir wird heute noch ganz anders, wenn ich daran denke, wie der Boden unter meinen Füßen gebebt hat.“
„Und haben Sie ihr eine Brezel gegeben?“
„Natürlich nicht!“ Beide lachten.
„Woher haben Sie Ihre Tierliebe? Von Ihren Eltern?“
„Nein.“ Weiter sagte er nichts.
„Leben Ihre Eltern noch?“
„Ich nehme es an.“
Als er ihren irritierten Blick sah, sagte er: „Ich habe seit Jahren kein Kontakt.“
Lydia schwieg. Nach einer Weile sagte sie: „Meine Eltern sind schon beide tot. Von ihnen habe ich die Buchhandlung geerbt. Lesen Sie auch gerne?“
„Ja, das ist eines der wenigen positiven Dinge, die ich von meinen Eltern sozusagen geerbt habe.“
„Gab es wirklich so wenig Positives?“
„Mein Vater war von Beruf Soldat, und das war er auch zu Hause. Er hat mich getrimmt auf Disziplin, Gehorsam und auf Achtung vor Autoritäten. Ich weiß, wie man sich in guter Gesellschaft zu benehmen hat, und ich kann mir einen Schlips binden. Ich war artig gedrillt und stand stramm wie ein kleiner Unteroffizier. Wenn man das als positiv ansieht, dann...“ Er fuhr nicht fort. Lydia sagte nichts und starrte in ihr Glas, sein Ton war zynisch gewesen. Sie spielte an ihrem Wasserglas. Nach einer Weile, die ihm endlos erschien, sagte sie: „Von Lisa habe ich nichts gehört.“
„Man muss sich manchmal abfinden, dass man anderen Menschen nicht helfen kann. Sie können ihr nicht ihr Leben abnehmen. Sie muss ihre Probleme alleine lösen. Mehr als ihr Hilfe anzubieten, können Sie nicht tun.“
„Das Mädchen hatte es von jeher schwer. Den Vater können Sie wohl vergessen, jedenfalls nach dem, was Mara mir von ihm erzählt hat. Ich habe Mara vor etwa zweieinhalb Jahren in einem Fortbildungskurs kennengelernt. Sie war sehr offen und hat mich gleich am ersten Tag gefragt, ob wir nicht zusammen einen Kaffee trinken wollen. So haben wir uns mit der Zeit angefreundet. Sie war ein lieber, aber sehr unsicherer Mensch, brauchte ständig Bestätigung. Sie war unausgeglichen und depressiv. Lisa war wohl nicht geplant gewesen. Meiner Meinung nach war Mara seelisch auch viel zu instabil, um so eine Verantwortung tragen zu können. Ihren Mann habe ich nicht
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