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verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
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ich möchte, dass du dich in meine Lage versetzt und verstehst, warum ich mich zurückgezogen habe.“
    „Das habe ich.“
    „Aber du nimmst es mir trotzdem noch immer übel.“
    „Wie kommst du darauf?“
    „Vielleicht, weil du deine Hand zurückgezogen hast.“ Er atmete innerlich auf, als das Essen serviert wurde. Als sie gegessen hatten, fragte er: „Wie läuft die Therapie mit Lisa?“
    „Es wird noch eine ganze Weile dauern.“
    „Sie wirkt nicht mehr ganz so deprimiert.“
    „Was ist sie für dich?“
    „Jedenfalls keine Geliebte.“
    Sie ließ ihr Glas sinken. „Das habe ich schon verstanden, Harald. Warum nimmst du meine Entschuldigung nicht an?“
    „Das habe ich. Es ist nur so, dass ich bei uns zu Hause immer der Sündenbock war. Vielleicht war ich deshalb zuerst nicht in der Lage, deine Situation zu verstehen. Aber das tue ich jetzt.“
    „Wofür warst du der Sündenbock?“
    Er schüttelte den Kopf. „Ist nicht weiter wichtig. Um auf Lisa zurück zu kommen. Ich frage mich, warum sie derart durch den Wind ist.“
    „Du hast dir die Frage doch schon beantwortet. Sie hatte sehr schlechte Startbedingungen. Es gibt Vorkommnisse in der Kindheit, die...“ Sie überlegte. „Durch die frühe Kindheit wird unsere seelische Struktur geprägt, wodurch wir bestimmte Verhaltensmuster ausbilden. Ich denke, ihr Selbstmordversuch ist eine Folge von Verletzungen in der Kindheit, und die aktuellen Erlebnisse waren nur die Auslöser.“ Als er schwieg, fuhr sie fort. „Irgendwie werde ich den Eindruck nicht los, dass du von meinem Beruf nicht sehr viel hältst.“
    „Wenn ich ehrlich bin, ich habe den größten Respekt vor dem Arztberuf, aber an die Psychologie habe ich nie geglaubt.“
    „Das erstaunt mich etwas.“
    „Warum?“
    „Du hast mir doch einiges über Verhaltensforschung bei Tieren erzählt. Warum fällt es dir dann so schwer, bei Menschen an angelernte Verhaltensweisen zu glauben?“
    „Ist es wirklich so einfach?“
    „Natürlich ist es nicht einfach. Ich will dir nur begreiflich machen, dass auch der Mensch von Geburt an durch bestimmte Erfahrungen, durch das Elternhaus und das übrige Umfeld geprägt wird. Er lernt. Und das, was er erlernt hat, sind Verhaltensweisen, die dann irgendwann automatisiert werden. Sind diese Verhaltensweisen gut, fördern sie ihn, sind sie schlecht, wird er sich selbst immer wieder schaden. Das gleiche gilt für Glaubenssätze. Auch sie werden durch Erfahrungen erworben. Tiere und Menschen sind sich in vielem ähnlich. Darum erstaunt es mich, dass du das eine befürwortest, das andere aber nicht.“ Sie seufzte. „Leider denken viele Menschen so. Wenn der Körper krank ist, geht jeder normale Mensch zum Arzt. Einen Arzt für die Seele will aber keiner anerkennen, oder die Leute fürchten sich sogar davor. Die Seele, das ist etwas, was sie nicht sehen und eben auch nicht kontrollieren können. Ein sehr mechanistisches Weltbild ist das.“
    Die Serviererin unterbrach sie, indem sie den Kaffee brachte. Nachdem sie gegangen war, fuhr Angelika fort: „Du hast meine Gesamtausgabe von Dostojewski bewundert, den du offensichtlich sehr schätzt.“
    Ob sie ebenso wie er daran dachte, dass sie damals zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten? An ihrem Blick erkannte er, dass sie seine Gedanken erraten hatte.
    „Ein begnadeter Schriftsteller.“
    „Und ein ebenso begnadeter Psychologe.“ Nach einer kurzen Pause sprach sie weiter: „Es gibt eine allgemeine Tendenz, Leistungen oder geistige Errungenschaften abzuwerten, wenn Menschen psychische oder geistige Probleme hatten. Denk mal an Hölderlin oder Nietzsche und noch viele mehr. Es ist stets das gleiche. Körperliche Krankheiten werden anerkannt, geistige oder psychische nicht. Sie haben für die meisten Menschen etwas Anrüchiges. Ich finde das nicht in Ordnung.“
    „Na ja, das ist ja auch dein Beruf.“
    Sie schüttelte heftig den Kopf. „Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ich habe schließlich nicht dieses Studium gewählt, weil ich unbedingt einen weißen Kittel tragen wollte.“ Sie überlegte. „Was denkst du über Lisa? Sie hat mir erzählt, dass du ihr oft geholfen hättest.“
    Er nickte. „Sie wirkt so verloren und heimatlos. Ich habe nie verstanden, warum sie versucht hat, eine Kneipe zu ihrem Zuhause zu machen, wo Lydia ihr ein viel Schöneres gegeben hat.“
    „Hattest du sie wegen ihrer psychischen Instabilität weniger gern?“
    „Nein!“
    „Hältst du sie deswegen für weniger

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