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verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
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intelligent?“
    „Nein! Ich werte Menschen deswegen nicht ab, falls du das glaubst. Lisa ist... sie ist irgendwie schutzlos. Vergleichbar vielleicht mit einem kleinen Vögelchen, das aus dem Nest gefallen ist. Solche, die von Menschen zu den Vogelstationen gebracht werden, damit sie dort aufgepäppelt werden. Vielleicht ist eure Psychiatrie ihr Leiferde.“
    „Vielleicht. Ich hoffe es!“
    „Du wirst ihr sicher helfen.“
    „Vorhin noch glaubtest du nicht an meinen Beruf.“ Sie sah auf die Uhr. „Meine Pause ist um. Ich muss gehen.“ Sie erhob sich. „Wir können ja gleich am Tresen zahlen.“
    Als er sich auf der Straße von ihr verabschieden wollte, fragte ihn Angelika nach einigem Zögern. „Wollen wir am Samstag in den Wildpark gehen? Ich könnte dich vom Bahnhof aus mit dem Auto mitnehmen.“
    Erfreut nickte er.
    „Um zwölf Uhr bei der großen Uhr?“
    „Ich werde da sein.“
    „Bis dann, Harald.“
    Am Samstag stand er unter der großen Bahnhofsuhr. Pünktlich um kurz vor zwölf sah er ihren roten Fiat um die Ecke biegen. Er beeilte sich beim Einsteigen, denn es herrschte reger Verkehr.
    Sie lächelte ihm zu. „Hallo Harald.“
    „Hallo.“
    „Wo warst du eigentlich die letzten Wochen? In Leiferde?“
    „Ja.“ Ein richtiges Gespräch wollte nicht zu Stande kommen. Angelika befragte ihn zu seiner Arbeit, er gab jedoch nur einsilbige Antworten. Nach einer Weile sagte sie: „Du bist so still.“
    „Ich bin nicht sicher, ob unsere Verabredung eine gute Idee war.“
    Sie schwieg. Er sah sie an, aber sie hielt ihre Augen auf die Straße gerichtet. Als sie beim Wildpark ankamen, war der Parkplatz fast leer. „Na ja, viele schreckt das Wetter ab, es ist doch ganz schön kalt“, sagte Angelika beim Aussteigen. „Aber um so besser.“ Als sie die Kasse hinter sich gelassen hatten, sagte sie: „Ich freue mich jetzt auf das Laufen. Mir fehlt Bewegung. Ich renne zwar oft über die Klinikflure und nutze jede Treppe, aber trotzdem ist meine hauptsächliche Bewegung oder vielmehr Nichtbewegung das Sitzen.“
    Sie schritten rasch voran und blieben nur bei den Umzäunungen der Tiere stehen. Bereitwillig beantwortete er ihre Fragen oder erklärte ihr etwas, gab auch zu, wenn er etwas nicht wusste Nach einer Zeit, die ihm endlos vorkam, zeigte sie auf ein Gehege. „Schade, dass sie nicht zu sehen sind.“ Sie trat an die Informationstafel. Ein Wolf war darauf abgebildet. „Ein schönes Foto. Ich habe sie leider noch nie aus der Nähe gesehen, nicht einmal als Schatten von weitem.“
    „Untereinander sind sie sehr sozial, dem Menschen gegenüber aber scheu. Es existieren viele dumme Vorurteile über sie, und deswegen sind sie fast ausgerottet worden. Leider!“
    Als ihre Blicke sich trafen, zeigte sie auf die Tafel. „Du hast wirklich Ähnlichkeit mit ihnen. Die Augen, den Jagdtrieb und manchmal auch das Scheue und Zurückgezogene.“
    „Vielleicht sollte man das auch sein, dann erspart man sich viele Schmerzen. Die Wölfe machen es schon ganz richtig!“
    „Wie du aber eben selbst bemerktest, sind sie untereinander sehr sozial.“
    „Ihr Psychiater habt auch auf alles eine Antwort.“
    Sie warf ihm einen Blick zu, erwiderte aber nichts.
    Er ließ sie stehen und ging weiter. Inzwischen waren sie eine gute Stunde gelaufen, als sie an einem Restaurant vorbeikamen. „Wollen wir dort einen Kaffee trinken?“ schlug Angelika vor.
    Der Gastraum war mit rustikalen Holzmöbeln sehr gemütlich eingerichtet. Sie setzten sich an einen kleinen Tisch am Fenster. Die Bedienung kam sofort und fragte, ob sie etwas essen wollten. Sie bestellten nur Kaffee, die Kellnerin verschwand.
    Harald, der sich unter Angelikas Blick unsicher fühlte, sagte: „Du hast neulich von Kindheitsverletzungen erzählt. Meintest du damit Lisas Erinnerungen ans Krankenhaus?“
    „Sie hat dir davon erzählt?“
    „Sollte sie nicht?“
    „Doch, das ist sogar ein gutes Zeichen.“ Sie lächelte ihn an. „Sie hat Vertrauen zu dir.“ Sie seufzte. „Ansonsten fehlt ihr leider jegliches Vertrauen ins Leben.“
    „Kein Wunder. Warum hat man ihr das angetan?“
    „Sie musste ja operiert werden. Die Ärzte hatten keine Wahl. Damals war die Medizin eben noch nicht so weit wie heute. Bei Äthernarkosen ist es wichtig, dass man tief und gleichmäßig einatmet. Laut ihren Erinnerungen hat sie sich aber dagegen gewehrt, was die Qualen verschlimmert hat. Was soll ein Kleinkind davon halten, wenn es in einem Operationssaal von vermummten Leuten

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