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Verzaubert

Verzaubert

Titel: Verzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Resnick
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diesen … was auch immer es ist.« Er legte mir beruhigend die Hand auf den Rücken. »Nimm dir einen Augenblick Zeit.«
    »Als ich hier ankam, musste ich kotzen«, sagte Golly.
    »Ja, das stimmt«, bestätigte Clarisse kühl. »Und ich kam mit dem Gesicht nach unten genau an der Stelle an.«
    Die beiden tauschten giftige Blicke. Die geteilte Not hatte wohl nicht notwendigerweise ein Band der Gemeinschaft geschmiedet.
    Es war noch eine weitere Frau anwesend. Sie war im mittleren Alter, ein bisschen pummelig und trug ein Cowgirl-Kostüm, das mit Strass und Pailletten besetzt war. Sie lag auf dem Boden und war offenbar bewusstlos.
    »Ist mit Dolly alles in Ordnung?«, fragte ich.
    »Sie hat sich bei einem Sturz vorhin den Kopf angeschlagen. Aber ich glaube nicht, dass es etwas Ernstes ist«, antwortete Clarisse. »Sie kommt bestimmt bald wieder zu sich.«
    Arme Dolly. Ich blickte mich in unserem Verlies um.
    »Alice«, sagte ich matt, als ich mich Auge in Auge mit dem Tiger sah. Unter anderen Umständen – in einem Zoo, einer Zaubershow, einem Dokumentarfilm – hätte ich sie vermutlich wunderschön gefunden, aber live, in Großaufnahme und ohne etwas Schützendes zwischen uns war sie einfach nur beängstigend. Insbesondere, wenn sie mich so gierig musterte.
    »Wir müssen hier raus«, sagte Sarah eindringlich. Sie war eine schöne Frau, etwa in meinem Alter und trug ein hübsches Abendkleid.
    »Ja«, stimmte ich zu und beäugte den hungrigen weißen Tiger. »So viel ist klar.«
    Ich blickte in die Runde: Golly, immer noch in ihrem Virtue-Kostüm, war zerzaust, schmutzig und ausgezehrt. Clarisse Staunton war eine hübsche Blondine Anfang zwanzig in einem hautengen schwarzen Leder-Outfit. So hatte ich mir das Kostüm von Barclays Bühnenpartnerin nicht vorgestellt. Die bewusstlose Dolly sah blass aus. Und Samson wirkte verfroren.
    Wir befanden uns in einer Art unterirdischem Verlies. Natürlich fensterlos. Die feuchten, rissigen Steinwände hatten wahrscheinlich schon Jahrhunderte überdauert. Hier und da breitete sich Schimmel aus. Hinter einem Gewölbebogen befand sich ein dunkler Tunnel, der nach wenigen Metern um eine Ecke bog. Vermutlich führte er zu einem ähnlichen Kerker. Sonderbare Schriftzeichen – oder Symbole? Hieroglyphen? – waren über und rings um den Durchgang gekritzelt. Anscheinend drang häufiger Wasser durch die hohe Decke, vielleicht bei starkem Regen. Momentan beschränkte es sich auf ein feines Rinnsal, das an der Wand hinunterlief und in eine große Pfütze tropfte.
    »So haben wir überlebt«, sagte Samson und wies mit dem Kopf in Richtung der Wassers.
    »Wer weiß, welche Parasiten sich nun in uns befinden …«, sagte Clarisse.
    »Und manchmal bringt er uns etwas zu essen«, erklärte Samson.
    »Thailändisch«, sagte Clarisse. »Oder Chinesisch.«
    »Unsere Reste!«, rief ich.
    »Esther, sag es mir bitte ganz ehrlich«, begann Golly. »Sieht man, dass ich abgenommen habe?«
    Ich ignorierte sie. »Was ist das hier? Wo sind wir?«
    »Irgendwo unterhalb von Castle Clinton«, antwortete Samson.
    »Ah. Im Battery Park.« Das half mir, mich zu orientieren. Früher diente die bewaffnete Hafenfestung als Schutz für die Stadt. Mittlerweile war Castle Clinton nur noch eine Touristenattraktion. Man konnte dort die Tickets für die Fähren nach Ellis Island und zur Freiheitsstatue kaufen. »So spät am Abend ist dort oben vermutlich niemand«, sagte ich.
    »Es ist Abend?«, fragte Samson. »Wir hatten Schwierigkeiten, zeitlich die Übersicht zu behalten.«
    »Trotzdem können wir es mit Schreien versuchen«, fuhr ich fort.
    »Das haben wir bereits getan. Und wie«, erzählte Golly. »Er sagte, es sei zwecklos, und er hatte recht.«
    »Wir sind anscheinend sehr tief unter Castle Clinton«, erklärte Samson. »Oder dort in der Nähe.«
    »Was war das hier früher?«, fragte ich und blickte mich um. »Ein Waffenlager? Eine Gruft?«
    »Vielleicht«, antwortete Samson nachdenklich. »Oder etwas, das mit dem Hafen zu tun hat. Oder der Kanalisation.«
    »Igitt!«, rief Golly.
    Alice knurrte.
    Mir drang ein Geruch in die Nase, der die Theorie mit der Kanalisation zu bestätigen schien, bis mir klarwurde, dass ich mich in einem Raum mit mehreren Personen, einem Tiger und keiner Toilette befand.
    »Es gibt mehrere alte Ebenen tief unter der Stadt, in denen man alles Mögliche findet«, fügte Samson hinzu. »Baufällige Tunnel, vergessene Gruben, verlassene Rangierbahnhöfe …« Er zuckte mit den

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