Verzaubertes Verlangen
schaukelte unter seinem Gewicht. Venetia hörte das Knallen von Leder.
Die Pferde sprangen mit einem Satz in den Galopp, so dass Venetia in den weich gepolsterten Sitz geworfen wurde. Sie zog den Vorhang am Fenster auf und starrte auf die Steinwand, durch die Gabriel verschwunden war, bis diese nicht mehr zu sehen war. Kurz darauf sauste die Kutsche um eine Biegung, und ihr war die Sicht versperrt.
Eine Weile später bemerkte sie, dass sie noch immer Gabriels Jacke trug. Sie zog sie enger um sich und suchte Trost in seinem Duft.
Das Ganze hätte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt passieren können, wütete Gabriel im Stillen. Seine Verärgerung mischte sich mit dem eiskalten Jagdfieber, das ihn packte, während er durch den uralten Tunnel zurückeilte. Dabei war der Abend so gut gelaufen. Er hatte seine Verführung immens genossen, obgleich es im Verlauf des Geschehens
einige Überraschungen gegeben hatte. Wenn es im Universum auch nur ansatzweise gerecht zuginge, würde er jetzt Venetia Milton in ein gemütliches Schlafzimmer hinaufführen.
Er bedauerte sehr, dass er sie hatte fortschicken müssen, doch der Ernst der Lage hatte ihm keine andere Wahl gelassen. Er wusste noch nicht, worauf die Eindringlinge es abgesehen hatten oder wie gefährlich sie waren. Aber die bloße Tatsache, dass sie Arcane House gefunden hatten und sich hier auszukennen schienen, war ein sehr schlechtes Zeichen.
Er erreichte die verborgene Treppe und erklomm sie mit ausholenden Schritten. Am Kopf der Stiege hielt er inne und lauschte, bevor er die Geheimtür öffnete.
All seine Sinne waren jetzt bis zum Äußersten geschärft. In diesem paranormalen Zustand konnte er seine Beute wittern und ihre Schritte auf eine Weise vorausahnen, wie dies nur Raubtiere und wahre Jäger können.
Mit Verdruss erkannte er, dass er so damit beschäftigt gewesen war, zu entscheiden, wie und wann er Venetia die volle Wahrheit über ihre Beziehung sagen sollte, dass er die Eindringlinge nicht sofort wahrgenommen hatte. Die Tatsache, dass sie die beiden zuerst bemerkt hatte, war ausgesprochen peinlich, um es freundlich auszudrücken. Offensichtlich hatte seine Aufmerksamkeit und Konzentration anderen Dingen gegolten.
Nichtsdestotrotz war es erstaunlich, dass sie die beiden Männer in dem finsteren Wald, der Arcane House umgab, überhaupt hatte ausmachen können. Er musste sie unbedingt danach fragen, wenn sie sich das nächste Mal sahen.
Die paranormale Seite seiner Natur würde sich zweifelsohne
als ausgesprochen nützlich erweisen bei dem, was sich heute Nacht hier zutragen mochte. Doch es war beängstigend, dass er seine übersinnliche Wahrnehmung nicht einsetzen konnte, ohne sich dem grausamen Jagdfieber hinzugeben. Es hatte ihn bereits gepackt und brachte sein Blut zum Kochen.
Sein Vater war überzeugt, dass jene übersinnlichen Fähigkeiten eine neue, höhere Entwicklungsstufe der Menschheit darstellten. Doch Gabriel fragte sich insgeheim, ob in seinem Fall nicht eher das Gegenteil zutraf. Vielleicht war er in Wirklichkeit eine Rückentwicklung.
Seine größte Furcht, wenn er sich in diesem Zustand befand, war, dass sich unter seiner maßgeschneiderten Kleidung und hinter der Fassade aus guter Erziehung, Bildung und guten Manieren tatsächlich das genaue Gegenteil eines durch und durch modernen Mannes verbarg. Er fragte sich, ob er in Wirklichkeit Züge und Eigenschaften an den Tag legte, die als urzeitlich bezeichnet werden mussten.
Wenn Mr. Darwins Theorien zutrafen, was genau war er dann?
Es gab zwei Gründe, weshalb er Venetia heute Nacht so schnell wie möglich aus dem Haus hatte haben wollen. Zum einen wollte er ihre Sicherheit, wie auch die von Mrs. Willard, der einzigen anderen Frau im Haus, gewährleisten.
Doch der zweite Grund war, dass er verhindern wollte, dass Venetia ihn sah, wenn er sich im Würgegriff jenes Fiebers befand.
Denn das war wohl kaum der geeignete Weg, um einen guten Eindruck auf seine zukünftige Gattin zu machen.
4
Bath: Eine Woche später …
Mr. Jones ist tot. Entsetzt starrte Venetia auf die kurze Meldung in der Zeitung. Sie fühlte sich, als hätte man ihr Innerstes nach außen gekehrt. »Unmöglich. Das kann nicht sein.«
Ihre Tante Beatrice Sawyer, ihre sechzehnjährige Schwester Amelia und ihr neunjähriger Bruder Edward schauten von ihren Frühstückstellern auf.
Es waren nur ein paar knappe Zeilen, versteckt neben den Schifffahrtsnachrichten. Venetia hätte sie beinahe
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