Verzaubertes Verlangen
gesamten Gehirn. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass Sie mehr künstlerische Intuition besitzen als die meisten Sammler, die ich kenne.« Er machte eine kurze, bedeutungsschwere Pause. »Von den meisten Ehemännern ganz zu schweigen.«
»Vielen Dank, aber ich habe den Eindruck, dass ich nicht ganz verstehe, worauf Sie hinauswollen.«
»Ich will darauf hinaus, Sir, dass die meisten Männer in Ihrer Situation nicht gerade erfreut wären, wenn sie nach Hause zurückkehrten und feststellen müssten, dass ihre Frau ein Geschäft eröffnet hat.«
Das stimmte, dachte Gabriel. Venetia, Beatrice und Amelia bewegten sich mit ihrem Atelier auf einem schmalen Grat. Die Welt hatte sich in den vergangenen fünfzig Jahren sehr verändert, aber manche Dinge änderten sich langsamer als andere. Es gab noch immer sehr wenige Berufe, die Frauen offenstanden. Ein Geschäft zu führen, galt als unziemlich für eine Dame, die in ehrbaren, gehobenen Kreisen
aufgewachsen war. Und es bestand kein Zweifel daran, dass Venetia und ihre Familie aus solchen Kreisen stammten.
»Meine Frau ist eine Künstlerin«, sagte er mit Nachdruck.
Harrow warf sich in die Brust. »Ich muss doch sehr bitten! Es besteht keine Veranlassung, mir zu drohen, Sir. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten, das versichere ich Ihnen. Ich bin ein großer Bewunderer der Kunstwerke Ihrer Frau.«
Gabriel trank einen Schluck aus seinem Champagnerglas und schwieg.
»Bitte glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, dass ich es ernst meine, Sir.« Harrow trat zaudernd einen Schritt näher. »Um ehrlich zu sein, ich bin beeindruckt von Ihren modernen Ansichten. Nur wenige Ehemänner denken so fortschrittlich wie Sie.«
»Ich betrachte mich gern als einen Mann der modernen Zeit«, erwiderte Gabriel.
13
Venetia löste sich gerade höflich aus der Traube von Amateurfotografen, die sich um sie geschart hatten, als sie abermals einen flüchtigen Blick auf Harold Burton erhaschte.
Sie versuchte, ihm mit ihrem Blick zu folgen, während er sich einen Weg durch die Menge bahnte. Es war nicht leicht. Sie verlor ihn kurz aus den Augen, dann erspähte sie ihn wieder. Er stand auf der anderen Seite des Ausstellungssaals, neben einer Seitentür.
Sie sah, wie er sich verstohlen umschaute, bevor er sich durch die Tür verdrückte.
O nein, kommt nicht in Frage , dachte Venetia. Diesmal entwischst du mir nicht, du widerlicher kleiner Mann.
Sie raffte ihre schwarzen Röcke und hielt so unauffällig wie möglich auf die Tür zu, durch die Burton verschwunden war.
Agatha Chilcott kreuzte unvermittelt ihren Weg. Sie war ganz in Rosa gehüllt. Die dicken Falten mehrerer Lagen von zurückgebundenen rosa Röcken waren kaskadenartig um eine Tournüre drapiert, die breit genug war, um Platz für eine Blumenvase zu bieten. Eine schwere Halskette aus rosa Edelsteinen füllte die Weiten ihres Dekolletés.
Der Zopf, der sich wie eine Krone auf Agathas Kopf türmte, hatte einen deutlich dunkleren Braunton als der Rest ihres ergrauenden Haars. Das Haarteil war mit einer Reihe von edelsteinbesetzten Nadeln fest verankert.
Agatha war eine Frau, die über viel Geld, ausgezeichnete Verbindungen und viel Zeit verfügte. Sie versüßte sich den Tag mit dem Sammeln und Verbreiten der pikantesten Klatschgeschichten, die in Londons feiner Gesellschaft aufzuschnappen waren.
Venetia empfand ihr gegenüber große Dankbarkeit. Agatha war eine ihrer ersten wichtigen Kundinnen gewesen. Die Lady war so beeindruckt von dem Porträt gewesen, das sie als Kleopatra zeigte, dass sie Venetia begeistert ihren Freunden weiterempfohlen hatte.
»Meine liebe Mrs. Jones, ich habe in der Morgenzeitung die erstaunlichen Neuigkeiten von der Heimkehr Ihres Gatten gelesen.« Agatha blieb vor Venetia stehen und versperrte ihr den Weg. »Sie müssen ganz außer sich gewesen
sein, als Sie erfuhren, dass Mr. Jones noch am Leben war.«
»Es war ein ausgesprochen bestürzendes Erlebnis, durchaus«, sagte Venetia und begann, sich unauffällig um Agatha herumzubewegen.
»Ich bin überrascht, dass Sie trotz allem die Kraft gefunden haben, heute Abend zu dieser Ausstellung zu kommen«, fuhr Agatha in besorgtem Tonfall fort.
»Warum, in aller Welt, sollte ich das verpassen? Ich bin bei bester Gesundheit.« Venetia stellte sich auf ihre Zehenspitzen und spähte über die Köpfe der Menge hinweg, um zu sehen, ob Burton in den Saal zurückgekehrt war. »Es stand nie in Frage, dass ich kommen würde.«
»Ach nein?« Agatha
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