Verzaubertes Verlangen
Wochen mehrfach hier, sozusagen hinter den Kulissen, gewesen, um Geschäftliches zu besprechen. Christopher Farley hatte sofort Gefallen an ihren Arbeiten gefunden, nachdem sie ihm einige ihrer Aufnahmen zur Begutachtung vorgelegt hatte. Er hatte sie hinsichtlich der finanziellen Seite des Berufs beraten und sie einigen ihrer ersten wichtigen Kunden vorgestellt. Im Gegenzug hatte sie ihm einige ihrer Fotografien zum Ausstellen und zum Verkauf überlassen.
Aufgrund ihrer Treffen mit Farley wusste sie in groben Zügen, wie die Räume und Büros in diesem Stockwerk angeordnet waren.
Der Korridor, in dem sie stand, wurde auf halber Länge von einem anderen Flur gekreuzt, in dem sich auch Farleys geräumiges Büro befand.
Sie schlich zu der Ecke und spähte in einen zweiten, noch dunkleren Flur. Kein Gaslicht schien durch die Glasscheiben in der Tür zu Farleys Büro. Der Mondschein von den Fenstern im Büro ließ das Milchglas vor dem Hintergrund dunklerer Schatten mattgrau schimmern. Das Zimmer neben dem Büro wurde von Farleys zwei Sekretären benutzt. Auch dieser Raum war unbeleuchtet.
Venetia wandte sich wieder in den ersten Korridor um. Sie wusste, dass in dieser Richtung zwei Büros, ein großer Abstellraum und eine Dunkelkammer lagen.
Die Angestellten der Firma benutzten die Dunkelkammer, um zusätzliche Abzüge von den zum Verkauf stehenden Fotografien aus der Galerie anzufertigen. Farley war auch dafür bekannt, talentierte, aber mittellose Fotografen einzuladen, die Einrichtungen zu nutzen. Doch Venetia konnte sich nicht vorstellen, warum Harold Burton den Abstellraum oder die Dunkelkammer betreten sollte. Er hatte sein eigenes kleines Atelier und besaß seine eigene Ausrüstung.
Es war natürlich möglich, dass Burton die Ausstellung über die Treppe am Ende des Korridors verlassen wollte. Doch wäre es in diesem Fall bedeutend schneller gewesen, dies durch den Haupteingang zu tun, der in ein elegantes Foyer und von dort auf die geschäftige Straße führte.
Die Treppe am Ende des Korridors, in dem sie stand, führte zur Gasse neben dem Gebäude.
Falls Burton diese Treppe genommen hatte, konnte Venetia auch gleich jeden Versuch aufgeben, ihn heute Abend zur Rede zu stellen.
Doch es gab noch eine andere Möglichkeit. Burton war nicht gerade ein Moralapostel, rief sie sich ins Gedächtnis. Vielleicht hatte er sich in Farleys Büro eingeschlichen, um dort herumzuschnüffeln. Zweifellos wurden dort viele Unterlagen über die Kunden der Firma aufbewahrt. Burton hätte kaum Bedenken, sich Informationen zu verschaffen, von denen er sich potentiellen Profit versprach.
Sie schlich so leise sie konnte den Flur entlang, der zu Farleys Büro führte.
Sie hatte kaum zwei Schritte in der Dunkelheit gemacht, als sie hörte, wie sich im anderen Korridor leise eine Tür öffnete.
Sie drehte sich auf dem Absatz um, in der Absicht, in den anderen Korridor zu stürzen und Burton abzufangen. Doch eine plötzliche Intuition ließ sie zögern.
Wenn es Burton war, dann verhielt er sich wirklich sehr verdächtig. Es könnte nützlich sein, herauszufinden, was er im Schilde führte. Sie konnte jeden noch so kleinen Vorteil gebrauchen.
Sie schlich zurück zur Kreuzung der beiden Flure und blieb an der Ecke zum Hauptkorridor stehen.
Das gedämpfte Stimmengewirr der Menge im Ausstellungssaal schien plötzlich sehr weit entfernt. Sie fühlte sich beklemmend allein in der Dunkelheit.
Mit einem Mal ertönten Schritte im anderen Flur. Burton kam nicht in ihre Richtung. Er ging auf die Hintertreppe zu. Binnen weniger Augenblicke würde er verschwunden sein. Wenn sie nicht sofort handelte, würde er entkommen.
Doch etwas hielt sie zurück. Sie hatte keine Angst vor Burton. Sie war wütend wegen der Dinge, die er getan hatte, aber sie hatte keine Angst. Warum also zauderte sie?
Sie nahm ihren Mut zusammen, raffte ihre Röcke, machte einen weiteren Schritt nach vorn und lugte vorsichtig in den anderen Korridor.
Vor dem fahlen Mondschein zeichnete sich die Silhouette eines Mannes ab. Er trug einen langen Mantel und einen Zylinder auf dem Kopf und eilte mit weit ausholenden Schritten von Venetia weg auf die Treppe zu.
Das war nicht Burton, erkannte sie. Dieser Mann war größer. Er war nicht so ungelenk wie Burton. Stattdessen bewegte er sich mit einer anmutigen Geschmeidigkeit, die von Kraft und Stärke zeugte. Ganz ähnlich, wie Gabriel sich bewegt , ging es ihr durch den Sinn.
Sie konzentrierte sich angestrengt auf die
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