Verzaubertes Verlangen
Sehr tragisch, aber solche Sachen passieren nun mal. Besonders im Wilden Westen.«
»Was bedeutet, dass Sie nur wenig Gelegenheit hatten, sich an Ihre ehelichen Pflichten zu gewöhnen, meine Liebe.«
Venetias Mund war schlagartig wie ausgetrocknet. »Meine ehelichen Pflichten?«
Agatha tätschelte ihre behandschuhte Hand. »Sie sind heute Abend zweifellos recht angespannt und nervös.«
»Sie machen sich ja keine Vorstellung, Mrs. Chilcott.«
»Es würde mich wirklich nicht überraschen, wenn Sie eine ähnliche Beklommenheit empfinden wie zweifellos in Ihrer Hochzeitsnacht.«
»Ja, stimmt genau.« Venetia setzte ihr strahlendstes Lächeln auf. »Zum Glück nimmt Mr. Jones große Rücksicht auf mein Zartgefühl.«
»Das freut mich zu hören, Mrs. Jones. Nichtsdestotrotz hoffe ich, dass Sie einen Rat von einer älteren und vielleicht weiseren Frau annehmen.«
»Ich denke nicht, dass die Situation nach Ratschlägen verlangt, vielen Dank.«
»Ich versichere Ihnen, meine Liebe, ein gesunder, kräftiger Gentleman, der nach langer Abwesenheit mit seiner Braut wiedervereint wird, verspürt gewisse natürliche Triebe.«
Venetia starrte sie entgeistert an. »Triebe?«
Agatha beugte sich ganz dicht heran und senkte ihre Stimme. »Ich rate Ihnen, sich ohne Verzögerung diesen gänzlich natürlichen Trieben zu widmen, meine Liebe. Sie wollen sicher nicht, dass Mr. Jones sich anderweitig Erleichterung verschafft.«
»Gütiger Himmel.« Venetia war wie vor den Kopf gestoßen.
»Es steht Ihnen ins Gesicht geschrieben, dass Sie nicht viel Gelegenheit hatten, sich an Ihre ehelichen Pflichten zu gewöhnen, bevor Mr. Jones seinen tragischen Unfall hatte.« Agatha tippte Venetia mit ihrem Fächer aufs Handgelenk. »Sie können mir vertrauen, wenn ich Ihnen sage, dass die Erfüllung der Pflichten einer Ehefrau nicht annähernd so unangenehm ist, wie manche es Sie glauben machen wollen.« Sie zwinkerte ihr zu. »Nicht wenn Ihr Gatte so gesund und kräftig ist wie Mr. Jones.«
Agatha schenkte ihr ein letztes gütiges Lächeln, drehte sich um und mischte sich wieder unter die Menge.
Venetia schloss mit Mühe ihren Mund. Unter Aufbietung all ihrer Willenskraft gewann sie ihre Haltung wieder und hielt abermals auf ihr Ziel zu.
Doch sie war sich nun der verstohlenen und weniger verstohlenen neugierigen Blicke bewusst, die ihr folgten. Die Leute spekulierten tatsächlich über die intimen Aspekte ihrer Beziehung mit Gabriel, dachte sie. Das Blut schoss ihr heiß in die Wangen.
Die bittere Ironie ihrer misslichen Lage ließ ihr die Zornesröte ins Gesicht schießen. Sie konnte nicht ertragen, an die vielen langen, einsamen, schlaflosen Nächte zu denken, in denen sie die Erinnerung an jene eine Nacht in den Armen ihres Traumgeliebten heraufbeschworen und den Verlust dessen, was hätte sein können, bedauert hatte.
Jetzt wusste sie, dass Gabriel Jones unbekümmert den Angelegenheiten seiner Arcane Society nachgegangen war, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, welche Wirkung die Nachricht seines Todes möglicherweise auf ihr Gemüt gehabt hatte.
Ganz ehrlich, Männer konnten so rücksichtslos sein.
Als sie die Seitentür erreichte, durch die Burton verschwunden war, blieb sie stehen und schaute zurück zu der Stelle, wo Gabriel noch vor wenigen Minuten gestanden und sich mit Christopher Farley unterhalten hatte. Sie konnte ihn nirgends entdecken. Vielleicht war er nach draußen gegangen, um frische Luft zu schnappen. Frische Luft könnte sie im Moment selbst sehr gut gebrauchen.
Leider hatte sie eine wichtigere Aufgabe zu erledigen. Sie konnte nur hoffen, dass Burton die Ausstellung nicht verlassen und sich nach Hause begeben hatte, während sie von Mrs. Chilcott über ihre ehelichen Pflichten aufgeklärt worden war.
Sie öffnete die Tür und schlüpfte aus dem hell erleuchteten Saal in einen schummrigen Korridor.
Sie schloss die Tür wieder hinter sich und blieb einen Moment lautlos stehen, während sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Es fiel genügend Mondschein durch die hohen Fenster über der Treppe am Ende des Flurs, um eine Reihe von geschlossenen Türen zu offenbaren.
Sie lauschte auf Burtons Schritte, doch sie hörte nichts außer dem gedämpften Stimmengewirr der Menge auf der anderen Seite der Wand.
Sie bewegte sich vorsichtig vorwärts, während sie sich fragte, was Burton hier zu suchen gehabt hatte.
Dies war nicht ihr erster Besuch in Farleys Galerie. Sie war in den vergangenen
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