Verzaubertes Verlangen
darstellte, nicht ganz so zufällig gewesen war, wie es geschienen hatte.
Er schloss die Tür, drehte sich um und ertappte Venetia bei einem Schmunzeln.
»Sie hätte mich auch einfach um Geld bitten können«, sagte er trocken.
Venetia schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Dafür ist Tante Beatrice viel zu stolz. Aber ich hatte so eine Ahnung, dass sie das Thema früher oder später anschneiden würde. Meine Tante war viele Jahre lang Gouvernante. Ein notorisch schlecht bezahlter Beruf, der einen große Sparsamkeit lehrt.«
Er trat ans Fenster und schaute auf die schattige Allee hinaus. »Feststellen zu müssen, dass Mr. Cleeton, die rechte Hand Ihres Vaters, mit dem Geld durchgegangen war, das rechtmäßig Ihrer Familie zugestanden hätte, muss zweifellos viele ihrer früheren finanziellen Ängste wiederaufleben lassen haben.«
Einen Moment lang herrschte hinter ihm absolute Stille.
»Edward hat Ihnen von Mr. Cleeton erzählt?«, fragte Venetia schließlich.
»Ja. Er hat mir auch erzählt, dass Ihr Vater ein Bigamist war.«
»Ich verstehe.« Eine weitere lange Pause. »Sie und Edward scheinen sich in recht kurzer Zeit sehr nahe gekommen zu sein.«
Er drehte sich zu ihr um. »Sie dürfen es Ihrem Bruder nicht übelnehmen, dass er sich mir anvertraut hat, Venetia. Edward hat Ihre Geheimnisse nicht absichtlich verraten. Er glaubt, dass ich in meiner Rolle als Ihr Ehemann in alle Familiengeheimnisse eingeweiht werden kann. Für ihn bin ich ein weiteres Mitglied des Ensembles dieses Stücks, das Sie alle so erfolgreich spielen.«
»Wie kann ich es ihm übelnehmen?« Sie seufzte. »Armer Edward. Er trägt eine große Bürde auf seinen zarten Schultern. Ich weiß, dass dies alles oft schwer auf ihm lastet.«
»Aber Sie müssen sich doch auch bewusst sein, dass die
Geheimnisse, die Edward so eisern wahren muss, gar nicht so furchtbar sind. Da gibt es schlimmere.«
»Das stimmt vermutlich.« Sie schaute verkniffen drein. »Tante Beatrice hat mir Geschichten aus ihrer Zeit als Gouvernante erzählt, da stehen einem die Haare zu Berge. Sie hat gesagt, in einigen der sogenannten ehrenwerten Familien, bei denen sie angestellt war, herrschten so abscheuliche Zustände, dass sie mehr als einmal gezwungen war, ihre Stellung aufzugeben.«
»Das glaube ich gern. Es besteht kein Grund, sich wegen Edward Sorgen zu machen. Er wird diese Last tragen können. Doch in der Zwischenzeit könnte es klug sein, ihm ein paar Freiheiten zu gewähren. Er hat den Wunsch geäußert, in den Park zu gehen und Drachen steigen zu lassen und mit anderen Jungen zu spielen.«
»Ich weiß. Wir gehen so oft wie möglich mit ihm in den Park, aber Tante Beatrice hat schreckliche Angst, dass er, wenn er sich mit anderen Jungen seines Alters anfreundet, unabsichtlich die Wahrheit über Papa ausplappern wird.«
»Ich denke nicht, dass Sie sich in diesem Punkt Sorgen machen müssen. Es gibt in jeder Familie Geheimnisse, und Kinder sind erstaunlich gut darin, diese zu bewahren.«
Sie blinzelte, als hätte er etwas gesagt, das sie überraschte. Dabei kniff sie die Augen ein wenig zusammen, in einer Weise, die ihm allmählich vertraut wurde.
Er lächelte. »Versuchen Sie, meine Aura zu sehen?«
Sie errötete. »Sie können das erkennen?«
»Ja. Sie fragen sich, ob ich selbst auch einige Familiengeheimnisse habe, stimmt’s?«
»Der Gedanke kam mir.«
»Die Antwort lautet selbstverständlich ja. Hat die denn
nicht jeder? Aber da meine Geheimnisse keine Bedrohung für Sie oder Ihre Familie darstellen, werden Sie mir wohl erlauben, sie zu bewahren.«
Sie lief noch krebsroter an. »Du meine Güte, ich wollte nicht neugierig sein.«
»Doch, das wollten Sie, aber wir lassen es für den Moment gut sein. Wir haben dringendere Probleme.«
»Von denen sich eines als Mrs. Fleming erweisen könnte«, sagte sie, nachdem sie ihre Fassung wiedergewonnen hatte.
Er lehnte sich mit der Schulter gegen die Wand und verschränkte seine Arme. »Ich denke nicht, dass sie wagen wird, Ihnen allzu großen Ärger zu machen. Nicht solange Ackland zu Ihren Bewunderern zählt. Er mag ein alter Tattergreis sein, aber er ist ihre Einkommensquelle. Wie Ihre Tante gerade erklärt hat, weiß das niemand besser als Mrs. Fleming selbst.«
»Sie haben nicht gesehen, was ich gesehen habe, als ich sie heute Nachmittag durch das Objektiv der Kamera angeschaut habe.«
»Sie haben ihre Aura gesehen?«
»Ja. Ich habe es Tante Beatrice nicht erzählt, weil ich weiß, dass sie sich dann
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