Verzehrende Sehnsucht
hinweg mitfühlend ansah, bereute Becca, dass sie ihren Freund erwähnt hatte, insbesondere, da sie ja dem Wettschießen nicht hätte zustimmen müssen. Die Wahrheit war, dass sie Sir Blaidd ihre Kunstfertigkeit im Bogenschießen hatte vorführen wollen. "Du hast Recht", sagte sie, nachdem sie ihren Schal achtlos aufs Bett geworfen hatte. "Das war wirklich ganz allein meine Entscheidung. Aber es tut mir auch nicht im Geringsten Leid!"
"Das sollte es dir aber. Was für ein würdeloses Verhalten!"
"Du hast vergessen, dass ich darüber hinaus auch noch humpele. Alles in allem bin ich eine traurige Enttäuschung für meine Familie und ihr edles Blut."
Laelia wirbelte herum und schaute die Schwester fassungslos an. Meg blieb mit der Bürste in der Luft starr stehen. "Das müsste nicht der Fall sein", entgegnete Laelia ungehalten. "Wenn du dich nur ordentlich benehmen würdest."
"Wenn ich mich so benehmen würde, wie du es für angemessen hältst, würde ich mich zu Tode langweilen", erwiderte Becca ehrlich. "Vater scheint es nicht so viel auszumachen." Sie zögerte einen Augenblick. "Oder zumindest nicht mehr so oft. Also brauchst du dich auch nicht so aufzuregen."
"Vater ist es einfach leid zu versuchen, dich an deinem ungebührlichen Betragen zu hindern", hielt Laelia ihr vor. "Er hat es aufgegeben. Aber ich werde das nie tun. Es ist nicht zu spät für dich, um dich zu ändern und dich …"
"Ehetauglicher zu machen?" schlug Becca vor.
"Ja!"
"Du solltest aufhören, dir Gedanken über meine Ehetauglichkeit zu machen, Laelia. Ich selbst mache mir deswegen keine Sorgen."
"Du bist meine Schwester. Natürlich mache ich mir Sorgen um dich."
"Ich schätze es wirklich, dass dir etwas an meinem Wohl liegt. Ernsthaft", antwortete Becca, "aber ich will mich nun einmal nicht ändern. Und wenn das bedeutet, dass ich nicht heiraten werde, dann ist das eben so." Sie ging zur Tür. "Mir fällt gerade ein, dass ich vergessen habe, etwas mit dem Koch zu besprechen."
Sie verließ den Raum und lief die Treppe hinunter. Natürlich hatte sie nichts vergessen, und Rowan, der Koch der Burg, schlief wahrscheinlich schon tief und fest. Becca wollte Laelia einfach aus dem Weg gehen. Eine Zeit lang zumindest.
Sie hatte keine Lust mehr, über Sir Blaidd, ihre Schwächen oder das Eheleben zu reden. Sie wollte einfach nur allein sein.
Sie durchquerte die Halle. Der große Saal lag im Halbdunkel und wurde lediglich von dem noch glühenden Feuer der Ofenstelle beleuchtet. Einige der dort dösenden Hunde bewegten sich und knurrten leise. Doch dann rochen sie vermutlich, wer an ihnen vorbeihastete, und verstummten.
Becca blieb an der Tür stehen und spähte hinaus. Auf dem Hof rührte sich nichts, abgesehen von den Männern auf der Mauer und den Wächtern am Tor.
Becca lief auf die Kapelle zu, so schnell sie konnte. Im Innern angekommen, fragte sie sich einen Moment, ob Sir Blaidd wohl wieder auftauchen würde, verscheuchte diesen Gedanken jedoch sofort wieder. Oder die Erinnerung an seinen Körper, wie Blaidd beim Kampf ausgesehen hatte, halb nackt mit dem Breitschwert in den Händen, als er Dobbin umkreist hatte.
Oder später, bei ihrem kleinen Wettkampf im Bogenschießen, als es ihm nichts ausgemacht hatte, gegen eine Frau zu verlieren.
Er war wirklich ganz anders als alle Ritter, die sie je kennen gelernt hatte.
Offenbar hatte Laelia jedoch genauso viel Gefallen an ihm gefunden wie sie – Becca. Ihr Vater fühlte sich ebenfalls in Blaidds Gesellschaft wohl. Es schien, dass er von all den Männern, die bisher hierher gekommen waren, die beste Aussicht hatte, Laelias Hand und Herz zu gewinnen. Das bedeutete, dass Becca wahrscheinlich mit ansehen müsste, wie Laelia und Blaidd heirateten. Sie würde die beiden in deren Heim besuchen müssen. Mit deren Kindern auf dem Schoß spielen müssen …
Als sie sich all diese Dinge vorstellte, wurde Becca klar, dass sie gelogen hatte – furchtbar gelogen hatte –, als sie Laelia gesagt hatte, es sei ihr gleichgültig, ob sie heiratete oder nicht. Bisher war es ihr auch einerlei gewesen. Sie hatte es besser gefunden, allein zu leben, als einen der langweiligen jungen Männer zu ehelichen, die bislang um Laelia geworben hatten. Doch ihre Gefühle hatten sich seit der Ankunft von Sir Blaidd schlagartig verändert. Wenn sie ihn heiraten könnte … oder jemanden wie ihn …
Dummer Gedanke! Es gab keinen zweiten Mann wie ihn. Das sagte ihr ihr Gefühl, und vor ihr breitete sich eine
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