Verzeihung, sind Sie mein Koerper
und rechts neben dem Rollstuhl herunterhängen. Wenn ich komme, zeigt sie mir, wie sie die Arme schon heben kann, und zunehmend hält sie es aus, dass ich die Oberarme aus dem Schultergelenk dehne und sie in den Achselhöhlen weite. Angst und Bedrängnis des Herzens siedeln sich sehr oft in den Schultern, Schultergelenken und Achselhöhlen an. Das zeigt sich bei Menschen, die die Schultern hochziehen und die Arme fest an den Oberkörper pressen, als müssten sie ständig durch einen Engpass schlüpfen. Spastisch gelähmte Menschen zeigen dieses Erscheinungsbild besonders ausgeprägt. Wenn Greti Dehnung und Weitung in diesem Bereich zulassen kann, dann ist das ein Zeichen für zunehmende Befreiung und ein Abnehmen der Angst rund um ihr Herz. Das drückt sich auch in ihren Zeichnungen aus. Christoph arbeitet parallel dazu mit seinen Händen an ihr.
Eines Tages komme ich ins Heim. Die Betreuer erzählen mir aufgeregt, dass Greti sich weigert, heute mit mir mit der Hand zu malen und überhaupt nie wieder mit der Hand malen will. Greti bestätigt diesen Bericht mit ihrem »Nein«, das keinen Widerstand duldet. Ich gebe sofort nach und wir unterhalten uns, begleitet von ein bisschen Massage, bis Christoph kommt. Mit seinen Händen stellt er fest, dass Gretis energetisches »Umfeld« sich wie eine dicke Betonschicht anfühlt, die sich durch seine Arbeit nicht lösen lässt. SchlieÃlich versucht er es mit spiralförmigen Bewegungen über dem Kopf, da beginnt ihr Körper wieder zu »flieÃen«. Sie wird zugänglicher und schlieÃlich will sie doch noch malen und zwar mit der Hand.
Ich gebe Greti einen Buntstift, halte den Block und â bin perplex. Greti malt Spiralen. Selbstverständlich konnte sie Christophs Handbewegungen nicht sehen, sie muss sie gespürt haben und die wohltuende Wirkung, die von diesen Bewegungen ausgegangen ist. Was für eine Feinfühligkeit hinter der Maske der Behinderung! Ihr Körper scheint Greti die Spiralen »gespiegelt« zu haben. Christoph und ich sind hingerissen. Es offenbaren sich uns ungenutzte Chancen der Begegnung und Entwicklung. Aber wie können wir diese Chancen nutzen?
AnschlieÃend machen Christoph und ich eine Aufstellung, um Gretis Verweigerung zu verstehen. Was dabei herauskommt, macht betroffen. Gretis schmerzhafte Lebenserinnerungen tauchen immer mehr auf, werden für sie möglicherweise langsam auch als bildhafte Erinnerungen deutlich. Wir wissen es nicht. Klar ist, Greti möchte lieber wieder zurück hinter das Schutzschild ihrer Behinderung. Die Befreiung, die andeutungsweise im Herzraum stattgefunden hat durch die Befreiung der Arme, gibt dem Schmerz, den Greti so sehr fürchtet, Raum.
Mich stürzt diese sehr nachvollziehbare Entwicklung bei Greti in eine Sinnkrise meiner Arbeit mit Greti, Hubert und den anderen aus dieser Gruppe, mit denen ich inzwischen auch zu arbeiten begonnen habe. Meine Motivation, als ich damit begann, war primär das Interesse an der Bewusstseinskonstellation von Behinderten gewesen, und mich hatte interessiert, was Aufstellarbeit in diesem Zusammenhang leisten kann. Ich wollte Behinderte nicht als Behinderte sehen, sondern als Menschen in einer extremen Bewusstseinslage, ausgelöst durch ihre auÃerordentliche Lebenssituation. Mich hatte ein fast klinisches Interesse geleitet.
Aber da war etwas geschehen, womit ich nicht gerechnet hatte: Vom ersten Augenblick der Begegnung an purzelte ich geradezu in eine groÃe Liebe zu diesen Menschen, die sich immer mehr vertiefte und mit einem groÃen Respekt paarte.
Mir ist eminent wichtig, mein Interesse und das Wohlergehen dieser Menschen vereinen zu können. Bisher ging das auch scheinbar problemlos. Jetzt bin ich an einem Punkt angelangt, wo die beiden Intentionen sich deutlich voneinander trennen. In mir formuliert sich die Frage: »Habe ich das Recht, mich in das Leben dieser Menschen hineinzudrängen und besserwisserisch an ihrem Schicksal herumzubasteln?«
Ich entschuldige mich innerlich bei Greti, hole mir Supervision in Gesprächen mit Christoph und anderen Freunden, aber meine alte Sicherheit kommt nicht wieder. Meine alte Sicherheit fuÃte auf meiner Naivität und Ahnungslosigkeit.
Bei meinem nächsten Besuch im Heim spreche ich mit Sonja, einer der Betreuerinnen, über diese Gedanken. Wir stehen mitten im Raum, umgeben von den Gruppenteilnehmern, die
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