Verzeihung, sind Sie mein Koerper
auch in Rot gemalt. Jetzt gab es ein Bild, auf dem sich im Zentrum der Schwärze eine goldgelbe Fläche öffnete. Hat Hubert sein freies Bewusstsein »gesehen«?
Ich respektiere die Aussagen seines freien Bewusstseins, Huberts Schicksal sei bewusst angenommen. Ich nehme Hubert nur wahr, ohne selbst Impulse zu setzen, und so wird es auch bleiben. Meine »Arbeit« mit ihm erfüllt sich in konkreten Handreichungen, wie beispielsweise seine verlorene Brille wiederzufinden und aufzusetzen, sein herausgefallenes Gebiss zu retten, ihn im Rollstuhl zurechtzurücken. Oft sitze ich einfach still neben ihm, und es entsteht ein Frieden zwischen uns, der uns beiden guttut. Wenn wir allein im Raum sind, wendet er mir manchmal sein Gesicht zu und strahlt mich an mit seinen gütigen Augen, deren Blick wie von weit her kommt.
Aber jetzt zu Greti, sie ist die Protagonistin meiner Geschichte: Greti sitzt spastisch gelähmt in einem Rollstuhl, mit nach innen gezogenen Ellbogen und zu Fäusten verkrampften
Händen. Sie versteht, aber sie kann kaum sprechen. Umso intensiver kann sie nicken, lachen und unfreundlich schauen. AuÃerdem gehört ein unnachahmliches »Nein« zu ihrem Ausdrucksrepertoire, dem ich immer wieder begegnen sollte. Sie malt nur mit dem Mund, wenn ihr jemand eine Leinwand hinstellt, den Pinsel in die Farben taucht und ihr in den Mund steckt.
Sie malt kräftige senkrechte Striche oder Halbmonde, unermüdlich, Tag für Tag. Das heiÃt, in letzter Zeit hatte sie weniger gemalt, sie war in eine Depression geglitten.
Christoph stellt mich ihr vor, und ich beginne meine Arbeit als völlig ahnungsloser Mensch. Ich habe keine Vorstellung von den Funktionsabläufen und Bewusstseinsebenen Behinderter, habe keine Erfahrung und habe mich vorher auch nicht informiert. Schon gar nicht habe ich nach der Diagnose gefragt.
Mein Zugang ist, mich mit ihrem freien Bewusstsein innerlich zu verbinden und es durch den Körper von Greti hindurch â also durch ihr gebundenes Bewusstsein â anzusprechen. Ich möchte ihr freies Bewusstsein mit ihrem gebundenen Bewusstsein in Berührung bringen und sehen, was geschieht, wenn Geist und Körper beginnen, miteinander in Kontakt zu treten. Ãblicherweise werden diese beiden Ebenen durch den Ich-Kern verbunden und gesteuert. Im Fall von Greti und ähnlichen Fällen gibt es diesen Ich-Kern nicht in der Form, wie wir ihn kennen. Ich ersetze ihn daher mit meinen Intentionen kurzfristig, gerade so lange, dass eine Begegnung der beiden Ebenen wirksam stattfinden kann.
Die emotionale Ebene in Greti, was wird sie tun? Gibt es sie und in welcher Form? Ich lasse diese Ãberlegungen links liegen und bin offen für das, was mich erwartet.
Ich setze mich Greti gegenüber. Wir lachen uns gleich gegenseitig an. Ich spreche sie an, im völligen Vertrauen, dass sie mich verstehen wird: »Greti, ich sag dir jetzt etwas und ich
weiÃ, du wirst mich verstehen.« Heftiges Nicken ihrerseits, ein neugieriger Ausdruck in ihren Augen. Ich fahre fort: »Du hast in deiner Kindheit schreckliche Dinge erlebt, aber das ist längst vorbei und kommt auch nie wieder. Du kannst deine Hände jetzt ausstrecken und nach deinem Leben greifen. Es wird dir gefallen.« Ihre Augen lachen â wieder heftiges Nicken.
Ich beginne behutsam ihre Hände zu massieren und sanft ihre einzelnen Finger zu strecken, so gut es die verkürzten Sehnen zulassen. Nach 20 Minuten gehen die Hände etwas auf. Greti erntet Jubel und Applaus. Sie strahlt, dann aber wird ihr Gesicht schnell müde und ihre Augen sinken nach innen. In Zukunft wird dies das Zeitmaà für unsere gemeinsame Arbeit sein: 20 Minuten, dann schaltet Greti ab und ist froh, in Ruhe gelassen zu werden.
Eine Woche später wartet sie schon im Rollstuhl auf dem Gang auf mich, ihre Hände gehen leichter auf, und wir kommen an das Thema der Daumen, die auch bei geöffneten Händen im Handinneren Schutz suchen. Sind sie Bewusstseinsträger an Gretis Händen? Ich spreche sie darauf an, wir haben eine Dialogform gefunden, in der ich frage und sie mit »Ja« und »Nein« bzw. mit Nicken und Kopfschütteln antwortet. Mit der Frage nach dem Schutzbedürfnis der Daumen ernte ich sofort ihre Zustimmung und wir finden Zwischenpositionen für die Daumen, bis sie sich ohne Furcht von der Handfläche lösen können.
Ich bin dicht in Kontakt mit ihrem freien
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