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Verzweifelte Jahre

Verzweifelte Jahre

Titel: Verzweifelte Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitta Sirny-Kampusch
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Krankenhauskleidchen mit den Bändern am Rücken. Sabina hat frische Sachen für sie abgegeben, Jeans und ein paar T-Shirts.
    Natascha liegt in einem Zweibettzimmer. Das andere Bett ist belegt. Ich mache kein Thema draus. Ich denke mir meinen Teil. Abschirmen, beschützen, aufpassen, nur nicht aufregen, haltet die Mutter von ihr fern. Täglich kommt er vorbei, der Herr Professor, mit mir redet er kaum. Ich rangiere unter seiner Wahrnehmungsgrenze. Jedes Mal, bevor er auftaucht, ist es, als käme Wind auf am Gang. Alles fegt auseinander, Platz für Max Friedrich. Es scheint, als hätte er längst die Vormundschaft über meine Tochter übernommen.
    Nataschas Zeitplan ist nicht überfrachtet. Mit keinem Besuch wird mir klarer, was sie hier tut. Ich sehe sie gern in bestmöglicher ärztlicher Obhut. Die weißen Kittel beruhigen mich so wie die Geschäftigkeit, mit der man sie als wichtigsten Patienten des Landes umsorgt. Medizinisch war allerdings nicht viel los. Nach allem, was man mir gesagt hat, habe ich angenommen, dass sie auf Herz und Nieren durchgecheckt wird. Ich habe mich geirrt. Einmal haben sie ihr Blut abgenommen.
    In der Frage, inwieweit ihr Verhalten gestört ist, bin ich auf mich allein gestellt. Niemand sagt mir, was ich ansprechen und was ich vermeiden soll. Der Psychiater vom Allgemeinen Krankenhaus ist mir wenig Hilfe. Unverständlich, denke ich. Wenn man einen Partner hat, der psychisch krank ist, ist doch das Erste, dass einen die behandelnden Ärzte involvieren. Dass sie einem erklären, was man sagen darf, wie man es sagen soll, und was man auf keinen Fall sagen soll. Mich hat keiner eingebunden. Ich habe nur meinen Hausverstand, der mir sagt, beschränke dich aufs Banale. Belanglosigkeiten, von denen ich hoffe, dass sie keinen Schaden anrichten. Wir reden über ihr Kinderzimmer. Daheim, sage ich, ist alles noch so wie früher. Deine ganzen Sachen sind alle noch da. Irgendwann können wir sie durchschauen.
    Natascha steht beim Fenster und schaut in den Garten. »Wollen wir spazieren gehen ?« , fragt sie. Es ist ein warmer, sonniger Tag. Wir schlendern durch das Spitalsgelände, unterhalten uns. Ich kann sie schwer einschätzen. Manchmal erscheint sie mir, als wäre sie eine Frau mit dreißig. Sie wählt ihre Worte mit Bedacht, korrigiert mich in meiner umgangssprachlichen Grammatik. Manchmal ist sie nur das Kind, das ich kenne. Wir kommen zu einem Spielplatz, sie setzt sich auf eine Schaukel und nimmt Schwung. »Magst du die Beatles ?« , fragt sie und taucht noch einmal an. »Sicher«, sage ich. »In the town, where I was born, lived a man, who sailed to sea«, singt sie. Ich beobachte ihr Vor und Zurück. Sie sieht mich nicht mehr, ist entrückt in ein Land, das nur ihren Namen trägt. »And he told us of his life, in the land of submarines .« Die Polizei hat ein Radio gefunden in ihrem Verlies. Vielleicht hat sie auch einen CD-Player gehabt. Sie kann den Text auswendig, irrt sich bei keiner Zeile. Im Rhythmus segelt sie auf mich zu und wieder weg. Sie kommt ganz nah, dann zieht sie sich zurück. »So we sailed up to the sun, till we found a sea of green, and we lived beneath the waves in our yellow submarine.« So also hat sie sich die Zeit vertrieben. Songtexte gelernt, Bücher gelesen. Vermutlich kann sie auch die seitenweise aufsagen. »We all live in a yellow submarine, yellow submarine, yellow submarine .« Das Lied passt gut zu uns.

*

    Natascha lebt als eine Art U-Boot. Aber alles arbeitet an ihrem Auftauchen. Der Druck der Medien wird massiver. Sie wird nicht ewig schweigen können. Der Brief, den sie gleich in den ersten Tagen an die sehr geehrten Journalisten, Reporter und die sehr geehrte Weltöffentlichkeit geschrieben hat, ist längst nicht mehr genug. In dem Schreiben, das der Herr Professor im Fernsehen vorgelesen hat, ersuchte sie die Presse, ihre Privatsphäre zu respektieren, und bat, möglichst in Ruhe gelassen zu werden. Lange haben sie sich nicht dran gehalten, die Journalisten und Reporter.
    Die Briten hatten es am eiligsten. Die Boulevard-Presse brachte riesige Schlagzeilen mit haarsträubenden Details. Natascha habe ein Verhältnis mit ihrem Entführer gehabt und sei von ihm schwanger. So brutal ist man nicht einmal mit mir umgesprungen, als man mich noch für die Mörderin meiner Tochter gehalten hat.
    Ich weiß nicht, ob Natascha von den Berichten erfahren hat. Sie erwähnt nichts davon, aber das muss nichts heißen. Sie erwähnt so manches nicht. Hoffentlich hat man

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