Verzweifelte Jahre
sie davor bewahrt, denke ich, ich weiß, wie einem das zusetzt, und sie ist noch viel verletzbarer.
Die Reporter aus Wien sind auch nicht zimperlich. Die Skrupelloseren, sagt mir Nataschas Medienberater Dietmar Ecker, fragen direkt. Hat sie ein Gspusi gehabt mit dem Priklopil? Da muss doch was gewesen sein zwischen den beiden.
Eine mediale Soap-Opera, wie es sie seit Lady Diana nicht mehr gegeben hat, nennt Ecker die Medienhetze auf Natascha. Die Höflicheren umschreiben die schmutzigen Einzelheiten mit dem Stockholm-Syndrom. Es kann ja gar nicht anders sein in all den Jahren, als dass sie sich in den Verbrecher verliebt hätte. Ein Magazin aus Hamburg tritt wieder die Fluchtmöglichkeiten breit, die Natascha angeblich gehabt hat. Sie hätte sich öfter zu erkennen geben können, wundert sich der Autor. Solang er sich nur wundert.
Es kommt alles zu schnell. Es ist alles zu viel. Natascha ist die Freiheit nicht gewöhnt, hat aber schon ein fünfköpfiges Beraterteam. Sie kommt aus der totalen Einsamkeit, und plötzlich ist sie Mittelpunkt einer Medienschlacht, an der sich die ganze Welt beteiligt. Ihr Anwalt, Günter Harrich mit Namen, hält dem Ansturm jedenfalls nicht stand. Er war bei ihrer Einvernahme im Sicherheitsbüro dabei. Es war das Verhör, in dem drei Ermittler Natascha fragten, ob Wolfgang Priklopil einen Mitwisser oder Komplizen hatte. Ihre Nerven mussten zum Zerreißen gespannt sein. So richtig wird mir das erst bewusst, als der Anwalt das Mandat zurücklegt. Aus beruflichen und privaten Gründen, er müsse sich um seine anderen Klienten kümmern und habe Familie. Natascha ist ein Fulltimejob. Sie hat Verständnis. Und gleich darauf zwei neue Anwälte.
Sie ist eine der drei Topmandate in meinem Leben, sagt Gabriel Lansky. Sein Kompagnon heißt Gerald Ganzger, die zwei sind Wirtschaftsanwälte, fünfundfünfzig Mitarbeiter. Was braucht sie einen Wirtschaftsanwalt, frage ich mich. Die haben sich auf Schmerzensgeld, Schadensersatz und Medienrechtsfragen spezialisiert, erklärt mir irgendwer.
Ich kriege den vollkommenen Wahnsinn, der da rund um mein Kind abrennt, nur in einzelnen Fetzen mit. Ich sehe Anwälte in dunklen Anzügen mit dicken Aktentaschen auf dem Gang, ich höre von ehrenamtlichen Medienberatern, die sich die ganze Mühe machen, weil sie nicht wollen, dass Natascha noch einmal unter ihrer Entführung zu leiden hat. Sie reden nicht mit ihr in meiner Anwesenheit. Bis jetzt waren sie Figuren, die neben den Ärzten, Psychiatern und selbst ernannten Vertrauenspersonen ihre Kreise um uns zogen. Jetzt beginnt es sich zu verdichten. Es ist mir, als seien wir nur mehr von wohlwollenden Beratern umgeben. Sie muss ein Interview geben, sagen sie. Wir bereiten alles vor.
Natascha ist nervös. Die stark traumatisierte Frau müsse wegen ihrer jahrelangen Isolation nun eine spezielle Trauerarbeit leisten, hat der Herr Professor noch vor ein paar Tagen gesagt. Jetzt will man sie stundenlang vor eine Kamera setzen. Auf einmal schaut die Diagnose anders aus. Der Natascha die Notwendigkeit einzureden, ist nicht schwer für die Meister der Seelenforschung. Und sie ist so weit, einzusehen, dass sie ohne Interview nie Ruhe finden wird. Stimmt wahrscheinlich. Ich rede ihr gut zu, was anderes bleibt mir eh nicht übrig. Die Hektik um das Gespräch, das die Welt aus den Angeln heben wird, geht auf Kosten unserer Zeit. Der Beraterstab ist völlig aus dem Häuschen, wuselt um meine Tochter herum, macht ein Mords-Tamtam und sie nur noch nervöser.
Die halbe Station wird umgebaut. Sie wollen nicht, dass Natascha zum ORF muss, das Fernsehteam kommt zu ihr. Man richtet einen Besprechungsraum her, er soll Wohnzimmeratmosphäre haben, die Zuschauer sollen nicht den Eindruck haben, dass Natascha in einer Klinik lebt. Meine Rolle bei dem Interview ist klar, ich spiele keine. Ich hätte ihr zumindest gern die Hand gehalten, vorher. Wann die Aufzeichnung des Gesprächs stattfindet, ist lange unklar und streng geheim.
»Natascha hätte mich so gern dabeigehabt«, sage ich zu Sabina. Wir sitzen bei mir daheim vor dem Fernseher, der Sprecher hat das Interview schon ordentlich eingetrommelt. »Warum warst du dann nicht dort ?« , fragt Sabina. »Weil ich das Telefon nicht gehört habe. Es wollte mich eh niemand dabeihaben, aber die Natascha hat so drauf gedrängt, dass sie sich von mir schminken lassen will, dass man mich schließlich doch angerufen hat. Und dann heb ich nicht ab. Sie haben es dann noch einmal probiert, aber
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