Verzwickt chaotisch
Boden zwischen den Betten kauerten schon Marvin, Leon, Jonas, Lena, Ann-Kristin, Seppo und Kelly, in ihrer Mitte eine leere Colaflasche. Sofie stupste Lena zur Seite und quetschte sich dazwischen.
»Komm schon, Luzie!«, forderte sie mich auf und klopfte auf das Linoleum. Seppo blickte zu mir hoch.
»Du solltest eigentlich nicht hier sein«, bemerkte er.
»Du auch nicht«, entgegnete ich kühl. Kelly schien mich seit heute Nachmittag nicht mehr ganz so »cute« zu finden, obwohl ich ihr vor dem Essen die Hand gegeben und »Sorry« gesagt hatte. Sie sah durch mich hindurch und rückte noch ein Stückchen näher zu Seppo, obwohl sie wirklich Platz genug hatte. Ich schlenderte rüber zu Billy und Serdan.
»Macht ihr nicht mit?«
»Nö«, erwiderte Billy kurz angebunden, ohne aufzusehen. Ich gab Serdan einen Klaps auf den Hinterkopf, doch auch das ermunterte ihn nicht zu reden.
»Langweiler«, grollte ich, kehrte zurück zum Sitzkreis und ließ mich neben Sofie auf den Boden sinken. Marvin hatte sich schon die Flasche gegriffen und begann, sie zu drehen. Und natürlich zeigte die Öffnung auf mich. Auf wen auch sonst.
»Pflicht«, forderte ich, bevor mich jemand danach fragen konnte. Lena grinste amüsiert.
»Okay, mal sehn …«, überlegte Leon und ließ seine Augen über die kleine Runde streichen. »Was könnte Luzie denn für uns tun …«
Das Blöde war wohl, dass ich schon ziemlich viele verrückte und peinliche Sachen getan hatte. Und zwar ganz freiwillig. Es war schwer, das zu steigern. Die anderen beratschlagten flüsternd, während ich abseits auf das Ergebnis warten sollte. Nach wenigen, viel zu langen Minuten einigten sie sich.
»Du musst Serdan am Ohr knabbern«, verkündete Marvin mit gesenkter Stimme. Lena und Ann-Kristin prusteten los, als hörten sie das zum ersten Mal. Dabei hatten sie es sich doch eben selbst zusammen ausgedacht.
»Knabbern?« Ich sah Marvin stirnrunzelnd an. »Mann, ist das beknackt.«
»Hast du Schiss?« Sieben Augenpaare ruhten auf mir. Nein, ich hatte keinen Schiss, auch wenn Serdan es sicherlich nicht komisch finden würde, wenn ich auf einmal an seinem Ohr herumkaute. Aber Seppo hatte vor einigen Monaten auffällig argwöhnisch reagiert, als ich erwähnte, dass Serdan mir eine Mail geschickt hatte. Nicht nur argwöhnisch, sondern möglicherweise auch eifersüchtig …
Ich stand wortlos auf, lief zu Serdan herüber, beugte mich vor und nahm sein Ohr zwischen meine Zähne. Es schmeckte seifig. Ich biss kurz zu – eher zart als fest – und ließ wieder los. Serdan rührte sich nicht. Ohne den Blick von seinen Karten abzuwenden, zog er zwei heraus und warf sie auf den Tisch.
»Och nee, der gewinnt immer«, meckerte Billy. »Scheißdreck. He, geh mir mal aus dem Licht, Katz, ich seh nix mehr …«
Tja, so sind sie eben, meine Jungs, dachte ich aufatmend. Man musste ihnen schon einen Felsbrocken auf den Schädel schmeißen, um auf sich aufmerksam zu machen. Doch als ich mich umdrehte, um zurück in den Kreis zu gehen, entdeckte ich eine feine Gänsehaut auf Serdans dunklem Nacken.
Meine zweite Pflichtübung – nur drei Runden später – bestand darin, zu Elena zu stürmen und ihr zu sagen, dass ich sie lieb hatte. Idiotisch. Ich machte es trotzdem. Sie reagierte ähnlich wie Serdan – eigentlich gar nicht. Doch der Blick, den sie mir zuwarf – sie stand gerade am Fenster und rauchte –, war vernichtend. Und irgendwie verstand ich sie. Das war Kinderkram, was wir da machten. Wann endlich würde mir jemand befehlen, Seppo zu küssen? Oder ihn wenigstens am Ohr zu knabbern. Auch wenn ich immer noch nicht wusste, wozu das gut sein sollte.
Doch bei der nächsten Runde zeigte der Flaschenhals auf Seppo. Und er wählte Wahrheit. Mein Herz schlug höher. Lena musste ihm eine Frage stellen – und er war verpflichtet, sie ehrlich zu beantworten. So waren nun mal die Regeln im Flaschendrehen.
Wie vorhin bei mir hingen nun alle Augen an Seppo. Kelly schmachtete ihn mit geneigtem Kopf an. Stille kehrte ein. Selbst Billy und Serdan hörten auf, ihr Skatblatt zu kloppen, und schauten zu uns rüber.
»Gut, Seppo.« Ein flaues Flimmern machte sich in meinem Bauch breit – als würde kaltes Wasser durch meinen Magen schwappen. Es erinnerte mich an das Gefühl, das ich im Abbruchhaus verspürt hatte, bevor ich beinahe in die Tiefe gesprungen war. Eine Art böse Vorahnung …
»Wen magst du lieber, Seppo – Luzie oder Kelly?«
Ich stand abrupt auf, flüchtete aus dem
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