Verzwickt chaotisch
Pfefferminznieser gewesen. Leander hasste das Innere von menschlichen Nasen (vor allem das von seiner eigenen, er fand es schlichtweg »ekelhaft«), doch er unternahm keinen Versuch, die Tröpfchen wegzuwischen. Sie schienen ihm egal zu sein.
»Weißt du, was ich so faszinierend finde?«, sprach er weiter, ohne seine Stimme zu erheben. Sie war ein bisschen heiser vom Singen. Ich hörte an seinem Tonfall, dass seine Frage wieder eine jener Fragen war, auf die er keine Antwort erwartete. Ich konnte sowieso nicht sprechen, sonst würde Elena wach werden und neue wilde Gerüchte über mich verbreiten. Also blieb ich still liegen und sah ihn an, ohne die geringste Reaktion zu zeigen. Ich wollte ihn nicht zu einem Laberflash ermutigen – die bekam er mit Vorliebe nachts oder vor dem Einschlafen –, aber vielleicht würde mich sein Geplapper ablenken. Noch besser wäre es gewesen, wenn er ins Französische gewechselt wäre. Doch er blieb beim Deutschen.
»Eure Wärme …« Ein kurzes Lächeln huschte über Leanders sonnenbraunes Gesicht. »Die ist faszinierend. Eure Körper sind warm, aus sich selbst heraus. Alles andere ist kalt, ja, es kann bitterkalt sein, der Boden, das Gras, Steine, Dachziegel, alles wird so furchtbar schnell kalt, aber ein Mensch strahlt Wärme aus … ununterbrochen …«
Du doch auch, dachte ich spöttisch. Sogar mehr als wir Menschen. 38 Grad mindestens. Und sein permanentes Fieber sorgte in diesem Moment dafür, dass ich nicht einmal meine Einsiedlerkrebs-Bettdecken-Technik brauchte. Im Gegenteil – ich hätte meine Decke gerne zurückgeschlagen, weil mir plötzlich heiß wurde.
»Als du klein warst und ich neben deinem Bettchen aufgepasst habe, hab ich das schon gemerkt und darüber gestaunt. Eure Wärme. Wenn ich diese Wärme gespürt habe, wusste ich: alles okay mit Luzie. Eigentlich spüren wir Wächter so etwas gar nicht, denn wir haben ja keinen Körper. Wir wittern Feuer und Wasser …« Leander verzog den Mund und hielt inne. Ich erinnerte mich an das, was er und seine Schwestern im Chor heruntergebetet hatten, als seine Familie sich bei mir im Zimmer getroffen hatte: »Feuer und Wasser sind die schlimmsten Feinde von Sky Patrol.« Für Leander schien das nur noch in punkto Feuer zuzutreffen. In den Pool hatte er sich, ohne zu zögern, gestürzt. Und seine Duschorgien sprachen für sich.
»Ja, wir wittern Feuer und Wasser, aber kein Wächter außer mir weiß, wie schön Wasser sich anfühlt. Und warme Haut. Ich verstehe nur nicht, warum ich deine Wärme schon fühlen konnte, als ich noch gar keinen Körper hatte … Ob das ein Erbstück von Onkel Gunnar ist? Er konnte Menschen angeblich riechen.« Leander tippte sich gedankenverloren an seine Nase. Ich hätte ja gerne mal gewusst, was es mit diesem ominösen Onkel Gunnar auf sich hatte, aber nun war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Ein weiterer Männername sollte nachts in diesem Zimmer nicht fallen, solange Elena mich hören konnte – und schon gar nicht solch ein dämlicher. Leander klang wenigstens noch nach einem Jungen, der einigermaßen gut aussah. Unter Gunnar jedoch stellte ich mir einen kleinen dicklichen Mann mit Kugelbauch und glänzender Glatze vor. Falsche Vorstellung, korrigierte ich mich. Er war ein Wächter. Die hatten keine Gestalt. Und laut Leanders kleiner Schwester hatte er sich auf der Leinwand seines Klienten verewigt – also hatte er einen Künstler betreut? Und wie nur hatte er sich dort verewigt?
»Warum hab ich diese Fähigkeiten? Hat es was zu bedeuten?«, wiederholte Leander grüblerisch. »Und ist es wirklich so verwerflich, seinen eigenen Körper zu lieben, einen Menschenkörper, schön warm, aber fehlerhaft und ungeschickt?«
Na, soooo fehlerhaft und ungeschickt waren unsere Körper auch wieder nicht. Schon gar nicht Leanders. Er würde einen fabelhaften Traceur abgeben, wenn er denn endlich dazu stehen würde, diesen Sport zu mögen. Seppo würde den Mund nicht mehr zukriegen vor Staunen. Oh, das wäre eine passende Rache … Mit Leander zum Training kommen. Ihn als meinen besten Kumpel vorstellen. Vielleicht sogar als meinen Freund? Nur um Seppo eifersüchtig zu machen. Und gleichzeitig noch ein bisschen mit Serdan flirten. Was in sich ein Widerspruch war, Serdan und Flirten, aber versuchen konnte man es. Und dann mit Leander einen Synchron-Run machen, gekrönt von unserem Synchron-Breakdance, den wir letztens einstudiert hatten. Zu den letzten dreißig Sekunden von Timbalands Morning after
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