Veyron Swift und das Juwel des Feuers
Wünsche zu erfüllen. Sie führte ein teures, ausschweifendes Leben und bereute es nicht eine Minute, diesen Weg eingeschlagen zu haben, anstatt das brave, anständige Mädel zu werden, wie sich ihre Eltern das früher erhofften.
Sie lebte wie eine Königin, genauso wurde sie auch von jedermann behandelt. Bei Borgin & Bronx wurde sie hofiert, wegen ihres Talents und ihres Erfolgs; und natürlich auch wegen ihres unverschämt guten Aussehens. Ihr schlug oftmals Neid entgegen, aber auch Bewunderung und Verehrung. Man fürchtete ihre Missgunst, obwohl sie noch keine dreißig Jahre alt war. Ihren Boss (ein perverses Schwein) hatte sie während der großen Bankenkrise bei dessen Vorgesetzten wegen Unfähigkeit diskreditiert. Für ihn war sie nur der Typ Assistentin gewesen, den man zum Vorzeigen brauchte. Eine attraktive Trophäe, mit der man bei Kollegen angeben konnte, mehr nicht. Heute hatte sie seinen Job.
Auf diese Weise verdiente sie sich den ehrlichen Respekt vieler Manager-Kollegen, die in ihr bisher ebenfalls immer nur nur das „Püppchen“ sahen. Und das Beste: Sie besaß jetzt auch einen eigenen Assistenten, ein Würstchen, hingebungsvoll treu ihrem Willen ergeben. Jessica tolerierte keinen Karrieretyp in ihrer Umgebung, der ihr vielleicht eines Tages gefährlich werden könnte und ihre Fehler (die sie zwangsläufig irgendwann machte) gnadenlos ausnutzen würde.
Der Konferenzraum von Energreen behagte ihr gar nicht. Anstatt eines spartanischen Raumes mit Tisch und Stühlen glich dieser hier einem Wohnzimmer. Die Wände waren in dunkelroter Farbe gehalten, überall hingen Gemälde japanischer Meister, die irgendwelche langweiligen Landschaften porträtierten. Der Boden war mit einem weichen Teppichboden ausgelegt, anstelle eines großen Konferenztisches gab es mehrere kleine, im Kreis angeordnete Sitzgruppen. Im hinteren Eck des Raumes blubberte eine Kaffeemaschine, auch ein Wasserbehälter war zu finden. Neben den Türen standen Grünpflanzen. Die Beleuchtung war gedimmt, um eine heimelige Atmosphäre zu schaffen. Mit den großen Regentropfen, die gegen die Aussichtsfenster prasselten wollte hier gleich Gemütlichkeit entstehen. Für Jessica war das jedoch sehr störend, denn das brachte sie in eine Stimmung, die sie gar nicht gebrauchen konnte. Über die vergangenen Jahre war sie eine Meisterin in der Selbstbeherrschung geworden, wusste ihre Gefühle bewusst zu kontrollieren und konnte sogar auf Kommando weinen. Sie wollte sich jetzt nicht entspannen und ruhig werden, sondern sie wollte aggressiv und knallhart sein.
»Hast du alle Unterlagen dabei? Fehlt auch nichts? Was ist mit der Entwicklungsanalyse? Wehe es fehlt etwas, Harry«, herrschte sie ihren Assistenten an, der zwei Meter weit weg saß. Jessica ärgerte sich, dass Nagamoto sie solange hier warten ließ. Auf sie wartete noch ein wichtiger Termin in London, wo sie den anderen Vorstandsmitgliedern von Energreen Honig ums Maul schmieren musste.
Harry Wittersdraught öffnete den kleinen Aktenkoffer, kramte das Notebook heraus, klappte es auf und zeigte ihr die Tabellen, die er in der ganzen letzten Nacht anfertigte. Der gute Harry war das genaue Gegenteil von Jessica: ein dünnes Männchen mit hängenden Schultern, leicht krummen Rücken und einem ausdruckslosen, blassen Gesicht. Er trug eine kreisrunde Brille, mit der er mehr nach Harry Potter als nach Investmentbanker aussah. Sein Anzug saß schlecht, ständig war er nervös. In ihren Augen war er eigentlich kein richtiger Mann, sondern eine willenlose Arbeitsdrohne. Er ließ sich ihren Kommandoton widerstandslos gefallen und erwies sich als ausgesprochen gewissenhaft und fleißig. Aber niemals wäre er der Typ von Mann gewesen, mit dem sie je eine Nacht verbracht hätte. Wahrscheinlich würde Harry sogar schreiend davonrennen, wenn sie sich vor ihm auszog – oder bewusstlos umfallen.
Diese boshaften Gedanken ließen ein kurzes Lächeln über ihre vollen, kirschroten Lippen zucken. Zum Glück bemerkte es Harry nicht, der für gewöhnlich so was sofort falsch verstand. Sie wusste, dass er gern in ihrer Nähe war und romantische Gefühle für sie hegte. Nur darum ertrug er ihre Gemeinheiten gleichmütig – von der Hoffnung beseelt, dies würde sich irgendwann in Dankbarkeit äußern.
»Alles da, Jessica. Da sind die Wachstumskurven; die manipulierten Kurven sind die hier. Aber sei vorsichtig: Nagamoto ist wild entschlossen einer Übernahme keinesfalls zuzustimmen. Eigentlich können wir
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