Video-Kid
Seile waren im Grunde nicht mehr als zusammengeknotetes Ballonmaterial, das unsere Heilige mit ihren geschickten Fingern gespleißt und verbunden hatte. Wir klebten die Seile an die von uns erwählte Zelle, gingen aber vorsichtig mit dem Klebstoff um, denn es war nicht mehr viel davon vorhanden. Die freien Enden der Seile verbanden wir mit den Nachbarzellen.
»Wir schneiden kleine Ritzen in die umliegenden Zellen«, sagte das Neutrum. »Dadurch leeren sie sich langsam, und wir haben das Risiko deutlich vermindert. Danach muß einer von uns in die leeren Zellen steigen und dort die Verbindungen zu den Nachbarkugeln durchtrennen. Mit etwas Glück lösen sich einige Verbindungen von ganz allein, wenn die umliegenden Zellen sich in den entleerten Raum ausdehnen. Wenn wir dann noch an den Seilen ziehen, können wir unseren kleinen Ballon vielleicht lösen, ohne die Nachbarzellen zu beschädigen. Mindestens sechs der Gaskugeln müssen wir wohl zerstören, und das nimmt der Insel einiges von ihrer Flugfähigkeit. Falls wir danach zu drastisch sinken, müssen wir eben zur Last hinuntersteigen und versuchen, den Ballon leichter zu machen, indem wir Kabel durchschneiden und Schlamm abwerfen.«
»Das wird aber nicht einfach«, wandte ich ein. »Die Stränge und Wurzeln sind ungeheuer ineinander verwoben.«
»Wir haben leider kaum eine andere Möglichkeit«, sagte das Neutrum. Es strich sich sanft über die roten, gefiederten Kiemen, die schlaff und feucht an seinem Hals herabhingen. »Sehen wir es doch einmal so, Kid. Wenn ich ins Wasser falle, gehe ich nicht unter; was ich leider von euch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit behaupten kann.«
»Hast du denn keine Ersatzkiemen?« fragte Anna hoffnungsvoll.
»Doch, aber leider mangelt es mir an den chirurgischen Kenntnissen«, antwortete der Professor lächelnd. Wir alle grinsten. Die arme Anna hatte eben keine Ahnung von amphibischem Leben. Moses bedeckte seine Augen und zeigte auf die aufsteigende Sonne. »Seht nur, Möwen.« Wir alle drehten uns zu ihm um und blinzelten. Ein ganzer Schwarm von Möwen näherte sich uns. Wir konnten bereits ihre hohen, kreischenden Schreie hören.
Schimpfend umkreisten sie einmal den Gipfel des Ballons. Ihre schaftartigen schwarzen Flügel und die langen, eleganten, scherenartigen Schwänze blitzten im Licht der Morgensonne auf. »Sie sind gekommen«, sagte Moses, »um in der Last Beute zu finden.«
Ich starrte ihn überrascht an. Er schien Gefallen am sachlichen, akademischen Tonfall des Professors gefunden zu haben und kopierte ihn. Armbruster hingegen schenkte den Vögeln nur wenig Aufmerksamkeit. Es stand nur da, rieb sich das Kinn und dachte angestrengt über unser Problem nach und bot dabei das Bild eines entschlossenen Tatmenschen. Es nahm eines der Werkzeuge von seinem verzierten Gürtel, kniete sich hin und durchstach die Haut einer Zelle. Augenblicklich war der unangenehme Geruch in unseren Nasen.
»Mal sehen, wie die hier reagiert, bevor wir uns an den anderen versuchen«, sagte es entschieden. Moses nickte und trat vorsichtig zurück.
Die erste Deflation verlief zufriedenstellend, und Armbruster punktierte in rascher Folge die fünf übrigen Zellen. Von Natur aus waren die Zellen kugelförmig. Nur die gedrängte Anordnung zwang sie in eine sechseckige Form.
Unsere Zentralzelle dehnte sich im Rahmen des nachlassenden Außendrucks aus, stieg langsam nach oben und zog an den schlaffer werdenden Nachbarzellen. Wir hörten ein langgezogenes, dumpfes Reißen, als die Kraft ihres Aufstiegs sie von den klebrigen Häuten der anderen Zellen löste.
»Ausgezeichnet!« rief Armbruster. »Ich schätze, sie wird sich von den unteren Zellen befreien, ohne daß wir eingreifen müssen. Komm schon, Vid, hilf mir, sie von diesen hier loszuschneiden.«
Armbruster und ich sprangen auf die einsinkende Haut der Nachbarzellen und begannen zu schneiden, als ginge es um unser Leben. Mein Abschnitt riß der Länge nach auf, und wieder einmal stürzte ich in das Innere des Ballons. Ich prallte von gummiartigen Innenzellen ab und bemühte mich angestrengt, nicht versehentlich eine mit meinem Messer aufzuschneiden. Es stank bestialisch hier unten. Ich hielt den Atem an und schnitt überall dort ein, wo ich ein Verbindungsstück zur Hauptzelle entdeckte.
Zwei meiner Kameras wurden unter einem großen Stück Haut gefangen, und einer meiner Füße blieb plötzlich zwischen den Wülsten zweier sich ausdehnender Zellen hängen. Ich zerrte mich los und
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