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lokalen Ökosystems; denn dieses verhält sich nicht so wie vergleichbare Systeme auf anderen Welten. Zum einen ist es deutlich älter. Leben existiert auf diesem Planeten seit fast acht Milliarden Jahren. Mehr noch, es hat die Ära der geologischen Aktivität dieser Welt überlebt. Die hiesigen Kontinente sind künstlich entstanden - sind riesige, ringförmige Atolle. Das Meer hat schon vor sehr langer Zeit die ursprünglichen Kontinente gänzlich erodiert. Alles trockene Land auf Träumerei ist das Werk von Organismen wie den Turmkorallen, den Schlammwühlern, den Seebibern und sogar der fliegenden Inseln, auf einer von denen wir uns gerade zu befinden den Vorzug haben.«
Nachdem das Neutrum mit einer Hand auf den gummiartigen Hautboden gedrückt hatte, fuhr es fort: »Ich wußte mir keine Erklärung für dieses merkwürdige Verhalten. Warum paßt sich dieses Leben nicht einfach seinen ozeanischen Bedingungen an, begnügte sich damit und läßt das flache Meer den ganzen Planeten bedecken? Warum dieser, na, nennen wir ihn ruhig Altruismus der maritimen Organismen für die an Land? Welcher genetischen Bestimmung wird damit nachgegangen?
Auf keine dieser Fragen fand ich eine Antwort, also wandte ich mich an meine Vorgesetzten in der Akademie und bat sie um Hilfe bei meinen weiteren Forschungen. Man rief mich auf eine der Eininseln der Akademie im freien Raum, damit ich dort meinen Fall vortragen könne. Ich legte dort meine Ergebnisse und Beweise vor, und man sandte ein Team aus, das meine Entdeckungen verifizieren sollte. In dieser Zeit - das Team untersuchte jahrelang, schließlich schadet Übereifer einem wissenschaftlichen Ergebnis nur - begann ich an möglichen Alternativen zur strikten reduktionistischen Weltsicht zu arbeiten. Damals entdeckte ich dann die Gestalt-Lehre.
Diese Lehre besagt, daß allem Ganzen eine geheime Kraft innewohnt; weiterhin, daß die Gesamtheit der Teile eines Ganzen größer ist als ihre bloße Summe. Eine mystische Kraft steckt in einem ganzen System, das heißt, noch etwas mehr befindet sich in dem Netz der Interaktionen, diesen Kausalketten von Aktion und Reaktion. Je größer die Komplexität eines Systems, desto größer ist seine ›Gestalt‹. Der Mensch ist ein ungeheuer komplexes System, und diese Komplexität zeigt sich am deutlichsten an dem Phänomen, das wir Bewußtsein nennen. Dieses Element des Sichselbstwahrnehmens hat den reinen Reduktionisten schon immer Kopfschmerzen bereitet; gleichwohl haben sie sich bemüht, diesen augenscheinlichen Beweis zu umgehen. Sie haben für Maschinen künstliches Bewußtsein geschaffen, aber was daraus geworden ist, ist uns allen nur zu gut bekannt.« Anna erschauerte unmerklich.
»Die Reduktionisten haben sogar demonstriert, daß das Bewußtsein an die Materie gebunden ist. Sie haben zu diesem Behuf das Gehirn verändert und dann auf die veränderten Geisteszustände verwiesen. Dies ist vor vielen hundert Jahren vorgeführt worden. Damit konnte man der alten Lehre des Dualismus von Körper und Geist den Boden unter den Füßen wegziehen. Aber ich habe nie dieser uralten Theorie angehangen. Und die Gestalt-Lehre unterscheidet sich davon ohnehin grundlegend. Meine Theorie anerkennt die Anwesenheit von Materie im Verstand, akzeptiert alle diese physischen Aktionen und Interaktionen. Sie fügt dem jedoch hinzu, daß wir die Natur dieser scheinbar so simplen Vorgänge noch gar nicht richtig begriffen haben. Man sollte annehmen, diese Hinzufügung sei nicht unvernünftig. Eine Theorie, die man sich wenigstens einmal anhören sollte. Zumindest war ich dieser Ansicht.« Armbruster vergrub die Spitzen seiner mit Schwimmhäuten verbundenen Finger in das wirre blonde Haar.
Eine lange Pause entstand. Ich stand auf, goß Wasser über einen toten Schwamm und begann damit, mir die Salzkruste vom Leib zu reiben.
Plötzlich sah der Professor auf. »Ach ja, Sie haben doch nach der Perlen-Skulptur gefragt. Die erste dieser Arbeiten habe ich in der Universität gesehen, damals, als ich meinen Fall vortragen sollte. Die eigentümliche Schönheit, die von solchen Gebilden ausgeht, nahm mich ganz gefangen. Die Akademie besitzt einige davon und verfügt über Daten von etlichen weiteren. Hin und wieder findet man eine neue, wenn auch stets außerhalb unseres Sonnensystems. Und immer sehen sie noch genauso perfekt aus wie zu der Stunde, in der sie erschaffen worden sind - und das liegt einige Jahrtausende zurück. Dieser Umstand bewegte mich besonders,
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