Viel Laerm um Stratfield
Humphrey sagte, dass die junge Dame zu seinem Bedauern abwesend ist."
Dominic stand auf und runzelte die Stirn. „Abwesend? Ist sie vielleicht im Dorf? Oder auf einem Spaziergang?"
„Anscheinend hat man sie nach London gebracht, Mylord."
„London? Hat sie eine Nachricht für mich hinterlassen?"
„Soweit ich weiß, nicht. Aber ihr Bruder hat eine Botschaft hinterlassen. Ich wurde angewiesen, Ihnen dies zu geben." Er reichte Dominic einen versiegelten Brief. „Soll ich hier warten, um Ihre Antwort zu überbringen?"
„Nach London? Nein. Bitte gehen Sie."
Er öffnete den Brief. Unwillkürlich bereitete er sich auf schlechte Nachrichten vor.
Stratfield,
Das letzte Mal, als ich Dich sah oder zumindest glaubte, Dich zu sehen, war bei Deiner Beerdigung. Während ich Dir zu Deiner Wiederauferstehung gratuliere, verurteile ich zugleich, dass Du meine Schwester verführt hast.
Wir sollten uns Wiedersehen, auf meinem Gund und Boden und unter meinen Bedingungen.
Im Übrigen lege ich das Fragment von Brandons Brief bei, das meine Schwester entschlüsselt hat. Was für ein tüchtiges Paar Ihr beide doch im langweiligen Chistlebury wart.
Ich hoffe, dass uns allen keine weiteren Überraschungen mehr bevorstehen.
H. B.
Mit einem reumütigen Lächeln faltete Dominic den beigefügten Brief auf - die Übersetzung von Brandon Boscastles verschlüsselter Nachricht - und las ihn. Es war eine unmissverständliche Warnung, und er konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob sie an Samuel, ihn selbst oder jemand vollkommen anderen gerichtet war.
Nachdem Edgar tot war, machte es vermutlich keinen Unterschied mehr. In jedem Fall kreisten Dominics Gedanken um ein dringenderes Problem - eine ungeplante Reise nach London, um sich dort seinem endgültigen Urteil zu stellen.
Zu seiner Überraschung gelang es ihm mit Leichtigkeit, sich wieder in die Rolle des Gentlemans zu finden. In den Ritualen und Traditionen seines alten Lebens war etwas Tröstliches, ebenso wie in der vertrauten Ordnung der Dinge. Er freute sich sogar regelrecht auf den ganzen Zirkus der feinen Gesellschaft mit all ihren Frivolitäten. Zumindest vorübergehend. In seinem Herzen würde er immer ein Rebell sein, ein zurückhaltender Mensch, der die Gesellschaft einiger weniger wahrer Freunde einer überfüllten Festlichkeit vorzog. Er beschloss, dass er dankbar sein musste, dass noch nicht der gesamte ton von seinem Überleben erfahren hatte.
Doch zunächst einmal war es an der Zeit, hier in London seine aristokratischen Manieren auszuprobieren, egal, wie eingerostet sie waren. Noch nie zuvor hatte er sich einer ganzen Familie beweisen müssen, noch dazu einer Familie, die so einschüchternd war, wenn man sie beeindrucken musste. Er hatte keine Ahnung, wie er den Boscastles seinen kurzen Ausflug in der Hölle erklären sollte, ohne dabei wie ein Verrückter zu klingen, oder wie er ihnen verdeutlichen konnte, wie Chloe ihm dabei geholfen hatte zu entkommen. Ihre Brüder hatten die Wahrheit verdient. Sie würden nichts Geringeres von ihm erwarten - und er hatte nicht die Absicht zu lügen.
Er hoffte nur, dass er den Boscastle-Clan davon überzeugen konnte, sein Augenmerk auf die Zukunftspläne zu lenken, die er geschmiedet hatte, und nicht auf jenes brutale Kapitel in seiner Vergangenheit.
Ein Diener führte ihn durch die weitläufigen Gänge im Stadthaus des Marquess of Sedgecroft bis zu einem privaten Arbeitszimmer, wo Grayson Boscastle mit dem Rücken zur Tür hinter einem riesigen Rosenholzschreibtisch saß. Sedgecroft war ihm stets als geselliger und fähiger Mann erschienen. Seine Neigung zu Ausschweifungen war offensichtlich durch seine Ehe mit Lady Jane Welsham kuriert worden.
Grayson hob den Kopf im selben Augenblick, in dem Dominic in der Tür erschien. An seinem unverhüllt feindseligen Gesichtsausdruck war nichts geselliges, ebenso wenig wie an der Art, wie er sich wie ein angriffsbereiter Löwe aufrichtete.
„Stratfield", sagte er. Sein Blick war so anheimelnd wie ein gefrorener See.
„Wie geht es Ihnen, Sedgecroft?"
„Sehr viel besser als Ihnen, wie es aussieht."
Ah, dachte Dominic belustigt, als er sich im Raum umblickte und Heath und seine Schwester Emma auf strategisch positionierten, zueinander passenden Stühlen entdeckte, die zu beiden Seiten von Graysons Schreibtisch standen. Das also hatte Chloe mit der Spanischen Inquisition gemeint. Er fragte sich, wann sie die Daumenschrauben auspacken würden. Man musste sich die drei nur ansehen.
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