Viel Trubel um Sam
möchte seinem Selbstbewusstsein durch positive Bestärkung auf die Sprünge helfen. Ich glaube, dass ich ihn vom falschen Weg abbringen und ihm zeigen kann, wie fantastisch das Leben sein kann. Ihm sozusagen den psychologischen Spiegel vorhalten und ihm zeigen, wie er auf andere wirkt.”
“Haben Sie auch nur die geringste Ahnung, wie grob vereinfacht das klingt?” Dr. Braddick verzog den Mund, als ob er in eine Zitrone gebissen hätte.
Zum ersten Mal fiel Edie die kahle Stelle auf seinem Kopf auf, die eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der Landkarte von Florida hatte. Ein paar Haare um Miami herum, die dann verschwanden und erst in der Nähe von Tallahassee wieder auftauchten. Und ein brauner Leberfleck bei Tampa.
“Sie bilden sich ein, diesen Mann ändern zu können”, warf Dr. Braddick ihr vor.
“Nein.” Sie konzentrierte sich auf Tampa, um nicht aus der Haut zu fahren.
“Sie sind Psychologin, Edie, keine Missionarin.” Dr. Braddick schüttelte den Kopf, und einige losgelöste Haarsträhnen fielen zufällig über Jacksonville. “Ich habe mehr von Ihnen erwartet.”
“Was soll das heißen?” Edie runzelte irritiert die Stirn.
“Klassisch”, murmelte er. “Ich möchte Ihre Gefühle nicht verletzen, aber Sie legen eine ziemlich unreife Einstellung an den Tag.”
“Was meinen Sie genau?”
“Ich meine dieses typisch weibliche Bedürfnis, den bösen Jungen zähmen zu wollen. Das ist die Grundlage sämtlicher kitschigen Liebesromane, diese Idee spielt eine große Rolle in den Fantasien junger Mädchen. In der wissenschaftlichen Realität allerdings gibt es dafür überhaupt kein Fundament. Ergo kann der Junge nicht gezähmt werden.”
Ergo? Wer benutzte solche Worte wie
ergo
, und seit wann war Dr. Braddick so verdammt aufgeblasen?
“Ich hätte nie gedacht, dass Sie solche Allgemeinplätze vertreten, Sir.”
“Und ich hätte nie gedacht, dass meine beste Studentin auf einen sich gegen die Brust trommelnden Neandertaler reinfällt.”
“Ich bin auf niemanden hereingefallen”, entgegnete sie wütend. “Ich habe lediglich eine Testperson gefunden, die mich mehr interessiert als die Aufgaben, die Sie mir in den letzten beiden Jahren gegeben haben.”
Edie hatte noch nie mit ihrem Professor gestritten. Im Gegenteil. Sie war von seinem großartigen Ruf immer fürchterlich beeindruckt gewesen.
Der Schreibtisch, über den die beiden sich anstarrten, war zu einer tiefen Kluft zwischen Student und Professor geworden.
“Na gut”, sagte Dr. Braddick schließlich, die Muskeln in seinem Kiefer zuckten vor unterdrückter Wut. “Ich gebe Ihnen das Seil, an dem Sie sich selbst aufknüpfen werden. Nur zu, beschäftigen Sie sich mit Ihrer Fallstudie. Aber machen Sie mir hinterher keine Vorwürfe, weil Sie ein komplettes Semester verschwendet haben.”
Edie atmete auf. “Danke schön.”
“Aber bevor ich meine Zustimmung gebe, müssen wir ein paar einfache Regeln aufstellen.”
“In Ordnung.”
“Erstens: Sie dürfen sich auf gar keinen Fall mit diesem Mann einlassen, egal, auf welche Art und Weise. Denn wenn Sie das tun, sind Ihre Nachforschungen hinfällig, und Sie können das Projekt vergessen. Verstanden?” Er blickte sie über den Brillenrand prüfend an.
Sie nickte. “Darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.”
“Zweitens.” Dr. Braddick kniff die Augen zusammen. “Dieser Mann darf nicht erfahren, dass er das Objekt Ihrer Studien ist. Sie müssen ihn heimlich beobachten. Denn sonst wird er sein Verhalten ändern, und Ihre Resultate wären verzerrt.”
“Das ist kein Problem.”
“Und ich möchte umgehend einen Entwurf auf meinem Tisch haben, wenn nächstes Jahr der Unterricht weitergeht.”
“Ist gut.”
“Und ich erwarte, dass Sie einen klaren Zusammenhang herstellen zwischen Ihren Forschungen und der Tatsache, wie diese Erkenntnisse bei künftigen Fällen angewendet werden könnten. In anderen Worten: Sie müssen mich davon überzeugen, dass dieses Projekt nicht nur eine Entschuldigung für Sie darstellt, sich diesem Mann zu nähern. Ich brauche konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Ihre Interventionen in diesem Fall auch in anderen Fällen wirklich helfen.”
“Ja, Sir.” Edie erhob sich. “Ich verspreche, dass ich Sie nicht enttäuschen werde.”
Dr. Braddick schnaubte ungläubig.
Sie gab ihm die Hand, wünschte ihm eine gute Fahrt und verließ sein Büro. Als sie über den verlassenen Campus lief, an den blattlosen Eichen und Pekannussbäumen vorbei,
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