Viel zu lange her
fragte sie, obwohl sie die Antwort fürchtete.
„Nein, absolut nicht. Davon hatte er keine Ahnung.”
Tessa holte tief Atem. Sie hatte sich geschworen, sich nicht so weit zu erniedrigen, eine ganz bestimmte Frage zu stellen. Ihre Selbstbeherrschung war jedoch am Ende angelangt. „Ich muss es wissen, Isaac. Wie konntet du mich verlassen nach … nach allem? Was hat dich plötzlich so wütend auf mich gemacht, dass du weggelaufen bist?”
Er nahm einen Schluck und seufzte. Sie ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass sich die Fingernägel in die Handflächen gruben.
„Es war nicht eine einzelne Sache, Tess. Es war alles, was uns beide betraf. Wir waren so unterschiedlich, als wären wir in zwei verschiedenen Ländern aufgewachsen.”
„Das stimmt doch nicht”, wandte sie ein. „Wir sind nicht an entgegengesetzten Polen der Welt, sondern im selben Haus aufgewachsen. Wir hatten unglaublich viel gemeinsam. Wir … wir waren ein Liebespaar.” Beim letzten Wort versagte ihr die Stimme, und sie wurde rot.
Er leerte sein Glas.
„Wir waren sehr jung”, erwiderte er. „Die Hormone sind mit uns durchgegangen.”
„Willst du behaupten, dass das alles zwischen uns gewesen sei? Die Hormone junger Menschen?”
„Möglich. Es hat sich einfach ergeben. Mehr oder weniger von einem Tag auf den anderen hast du dich von meiner kleinen, hageren Schwester zu einer unglaublich schönen Frau entwickelt”, fügte er sanft lächelnd hinzu.
Das Essen wurde gebracht.
„Hast du gemerkt, dass dich sogar der Kellner ständig ansieht?”
„Soll das heißen, dass ich zu einer lasterhaften Verführerin herangewachsen bin?”
„Nein, ich gebe dir keine Schuld.”
„Da bin ich aber sehr froh.”
„Andererseits”, fuhr er bedeutungsvoll lächelnd fort, „waren es deine Beine, die innerhalb eines Sommers von dürr zu sagenhaft wechselten.” Er richtete den Blick auf ihre Brüste. „Und andere Merkmale entwickelten sich so unerwartet, dass sie mir den Verstand raubten.”
„Du glaubst doch nicht, dass ich mich dafür entschuldige, erwachsen geworden zu sein”, hielt Tessa ihm vor. „Das sind von deiner Seite nichts weiter als lahme, chauvinistische Entschuldigungen.” Gereizt schob sie den Salat, den sie kaum gekostet hatte, von sich und verschränkte die Arme. Bei der nächsten Erinnerung entspannten sich ihre Züge jedoch wieder.
„Ich hatte schon sehr früh ein Auge auf dich geworfen. Vermutlich war es also doch teilweise meine Schuld.”
„Deine Heldenverehrung hat mir durch die letzten Jahre der High School geholfen. Erinnerst du dich daran, als ich die Schule sausen lassen und mit den Straßengangs herumziehen wollte? Die Vorstellung, mit dir gemeinsam zur Universität zu gehen, hat mir geholfen, es nicht zu tun.”
Sein erotisches Lächeln berührte sie tief. „Ich bin oft heimlich weggegangen und hoffte, dich allein auf dem Hügel zu finden”, gestand sie befangen.
„Wirklich?” Seine Überraschung war nur gespielt. „Und ich dachte, du wolltest dich nur wie ich fit halten, indem du ständig diesen Pfad hinauf-und hinuntergelaufen bist. Kein Wunder, dass wir beide Meister im Querfeldeinlauf wurden.”
„Ich habe nur im ersten Jahr gewonnen. Leider war ich nicht mehr so fit, seit…”
„Seit ich dich geküsst habe?”
„Danach haben wir viel seltener gejoggt.”
Sie erinnerte sich an zahlreiche andere körperliche Aktivitäten, auch wenn es eine Weile gedauert hatte, bis sie alles wagten. Anfangs hatten sie scheu und auch etwas ängstlich eine neue, geheime Welt erforscht. Tessa hatte nicht geahnt, dass ein Junge so zärtlich und sanft sein konnte.
„Es war schwer, daheim so zu tun, als wäre nichts geschehen”, bemerkte Isaac.
„Wir haben uns bemüht, aber Mum wurde dir gegenüber noch zurückhaltender.”
Seine Miene verfinsterte sich. „Und dein Vater schlug vorsichtig vor, ich sollte mehr Zeit mit den jungen Männern der Gegend verbringen, Fußball spielen oder segeln. Dein Vater hatte die Idee, dass ich zwei Mal in den Sommerferien zur Obsternte nach Bowen und Charters Towers gehen sollte.”
„Das war schrecklich”, erwiderte Tessa. „Mit den anderen Jugendlichen aus der Nachbarschaft langweilte ich mich schrecklich. Aber wenigstens hast du genug Geld für den Tauchunterric ht gespart, als du auf die Universität kamst.”
„Ja.” Isaac seufzte. „An der Universität hatten wir plötzlich die Freiheit, die wir uns wünschten.
Trotzdem waren wir noch viel zu
Weitere Kostenlose Bücher