Viel zu lange her
einer dicken Brille, der mit seinen dünnen Armchen Schwierigkeiten hatte, den Wasserhahn abzudrehen. Isaac konnte den Blick nicht abwenden und strich sich über das Gesicht, als könnte er dadurch das Bild wegwischen.
„Paul gefällt es auch nicht, dass ich hier arbeite - falls dich das tröstet”, sagte sie, als sie wieder zu ihm kam. „Er lehnt es sogar völlig ab.”
„Oh … ich habe nichts dagegen”, erwiderte Isaac.
„Du warst allerdings nicht darauf vorbereitet, dass deine Vorstellung von der verwöhnten Prinzessin so schnell zerstört wird.”
„So ungefähr”, räumte er unbehaglich ein.
Zwei rundliche Frauen mittleren Alters verteilten Plastikteller mit Sandwiches und Obst. Die eine betrachtete Isaac unverhohlen und lächelte strahlend.
„Tessa, das ist dein Verlobter? Endlich lernen wir ihn kennen.” Sie nickte Isaac anerkennend zu. „Sie sind das bestgehütete Geheimnis in der ganzen Stadt, Paul. Allerdings verstehe ich jetzt, dass Tessa Sie ganz für sich behalten wollte.”
„Nein, Hilda.” Tessa war weniger über den Irrtum ihrer Helferin als über Isaacs amüsierten Blick betroffen. „Das ist nicht Paul, sondern mein … mein Bruder Isaac.”
„Ach.” Hilda war eindeutig enttäuscht.
„Ich komme rechtzeitig zurück, bevor die Kinder ihr Nickerchen machen müssen”, fügte Tessa hinzu und ging mit Isaac zur Tür.
Neben dem Eingang hing ein schlichtes Schild mit der Aufschrift „Vorschulleiterin Theresa Morrow”.
Isaac warf einen Blick darauf und konnte eine bissige Bemerkung nicht zurückhalten. „Spielst du hier Mutter Teresa?”
Hatte er sie noch nicht genug verletzt? Woher kam diese Bitterkeit? „Ich dachte, gerade du würdest das verstehen”, erwiderte sie verhalten. „Diese Kinder verdienen einen genauso guten Start wie jene aus begüterten Familien.”
„Ja, natürlich.” Ihre Antwort gefiel ihm offenbar nicht. „Es ist wohl so, wie du gesagt hast. Ich war nicht darauf vorbereitet, dass du diese Arbeit gewählt hast.”
„Vielleicht dauert sie nicht mehr lang.” Tessa seufzte. „In dieser Gegend sind in der letzten Zeit die Grundstückspreise gestiegen. Es gibt Gerüchte, dass sich große Bauunternehmen dafür interessieren. Gegen diese Firmen haben wir keine Chance. Abgesehen davon ist Paul mit meiner Arbeit gar nicht einverstanden. Er möchte, dass ich mich nächstes Jahr in einem staatlichen oder ordentlich geführten privaten Kindergarten bewerbe. Es gefällt ihm nicht, dass seine Frau in einer so niedrigen Position in einer Wohltätigkeitseinrichtung arbeitet.”
„Er schätzt seine eigene gesellschaftliche Stellung in dieser Stadt wohl sehr hoch ein?”
Tessa seufzte. „Ja, natürlich.”
„Und wie findest du diese Haltung?”
An der Frage war nichts auszusetzen. Tessa war ihr bisher jedoch ausgewichen. Wenn Paul sie drängte zu kündigen, hatte sie jedes Mal das Thema gewechselt. Nach den Flitterwochen würde Paul jedoch den Druck verstärken. Das konnte sie Isaac allerdings nicht sagen.
„Ich hoffe”, erwiderte sie lächelnd, „dass ich ihn zu meiner Haltung bekehren kann.”
Sie hatte jedoch den Eindruck, dass er diese Antwort nicht hören wollte.
Tessa und Isaac fuhren zum „Quarterdeck”, einem Restaurant direkt am Hafen. Als sie die hölzerne Terrasse überquerten, schien die tropische Wintersonne stark genug, dass sie sich einen Tisch unter einem weißen Schutzsegel suchten. Sie bestellten in heißer Asche gebackenes Kürbisbrot, griechischen Salat und Mineralwasser mit Zitronengeschmack.
Isaac räusperte sich, sobald sie die Bestellung aufgegeben hatten. „Wenn wir die Dinge zwischen uns klären wollen, sollte ich zuerst eingestehen, dass ich über die Jahre mit deinem Vater in Kontakt stand.”
„Tatsächlich?” fragte sie fassungslos. „Er hat es nie erwähnt.”
„Darum hatte ich ihn gebeten.” Isaac unterbrach sich, als der Kellner die Getränke brachte. „Ich konnte einen Mann, der so gut zu mir war, nicht verletzen, indem ich einfach verschwand.”
Mich konntest du bedenkenlos verletzen, dachte Tessa und ließ mit dem Trinkhalm die Eiswürfel in ihrem Glas kreisen. Ihr Vater hatte sie die ganze Zeit belogen. Wie hatte er das machen können? Was stimmte nicht mit ihr, dass sich alle gegen sie verschworen? Die Jachten an den Stegen verschwammen vor ihren Augen. Sollte das die Strafe dafür sein, dass sie sich mit neunzehn der Leidenschaft hingegeben hatte?
„Wusste er auch, dass du fortgehen wolltest?”
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