Viel zu lange her
ihr hielt. Sie sollte dankbar sein, dass er sie bei Paul gerettet hatte. Doch sie konnte nur daran denken, dass seine Rückkehr ihr brennendes Verlangen nach ihm wieder belebt hatte, während er gar nichts für sie empfand.
Das Licht der tief stehenden Sonne fiel durch die Fensterläden, als Lydia Burnie im Wohnzimmer der Morrows stand, die Hand ihrer Enkelin festhielt und amüsiert die vielen Hochzeitsgeschenke auf dem langen Mahagonitisch betrachtete.
„Du meine Güte, liebe Tessa!” meinte Lydia. „Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus.”
Die ungeöffneten Geschenke in den weißen, goldenen oder silbernen Verpackungen wirkten geschmackvoll.
„Wann öffnest du denn mit Paul alle diese Schätze?”
„Wahrscheinlich heute Abend, Großmama, obwohl sie auch so schön aussehen, nicht wahr?”
erwiderte Tessa.
„Nun, meine Liebe, sie passen zu dem allgemeinen Dekor, das Rosalind ausgesucht hatte. Man könnte meinen, dass die Hochzeit hier im Haus stattfindet.”
Tessa sah sich lächelnd im Raum um, den Rosalind prächtig geschmückt hatte. „Mum hat sich selbst überboten. Das meiste davon wird aber nach Queen’s Gardens geschafft und ist für den Hochzeitsempfang bestimmt. Soll ich dir zeigen, was sie schon alles vorbereitet hat?” fragte sie und hakte ihre Großmutter unter.
„Ich habe nie großen Wert auf solchen Aufwand gelegt”, erwiderte Lydia, „aber für andere ist das sehr wichtig.”
Tessa führte sie zur Anrichte, auf der alle möglichen exquisiten Gegenstände lagen. „Jeder Gast erhält eines dieser kleinen rosa Tütchen aus Organza mit vergoldeten Mandeln und herzförmigen Schokoladenstückchen”, erklärte Tessa. „Mum hat sie selbst eingefüllt.”
„Wie reizend”, stellte Lydia trocken fest. „Sie gestaltet diese Hochzeit so märchenhaft, wie sie nur kann.”
„So sieht es aus, nicht wahr?” bestätigte Tessa, bevor sie ihrer Großmutter die Lilien für die Kirche zeigte.
„Du solltest begeistert sein, Mädchen.”
„Selbstverständlich.”
„Aber du bist es nicht, Schatz?”
Tessa warf ihrer Großmutter einen forschenden Blick zu. „Ich bin es, Großmama. Es wird alles sehr schön.”
„Ich spreche nicht von der Dekoration, Theresa Rose, und das weißt du. Du siehst nicht wie eine Frau aus, die bald den Mann ihrer Träume heiraten wird.”
Tessa konnte sich nicht aus dem Griff ihrer Großmutter befreien, obwohl sie sich nach dem katastrophalen Mittagessen auf kein Gespräch mehr einlassen wollte. Sie entkam nicht einer gebrechlichen Frau von siebenundachtzig Jahren und schon gar nicht ihrem eigenen Wunsch zu antworten. Plötzlich war es ihr sehr wichtig, die Heirat mit Paul zu rechtfertigen - vor ihrer Großmutter und vor sich selbst.
„Großmama, wir beide wissen, dass nur sehr wenige Frauen jemals den Mann ihrer Träume treffen beziehungsweise auch noch heiraten.”
Lydia betrachtete ihre Enkelin mit zusammengekniffenen Augen. „Ach was! Hoffentlich hat dir nicht deine Mutter diesen Quatsch eingegeben.”
Rosalind eilte mit grünen Efeuranken in den Armen in den Raum. „Wie findest du das, Schatz?
Ist das nicht reizend? Im Garten gibt es jede Menge davon. Das werde ich für die Kirchenbänke benützen.”
„Wenigstens kostet es nichts”, murmelte Lydia.
„Habt ihr gewusst, dass Efeu das Symbol für Freundschaft und Treue in der Ehe ist?” fragte Rosalind und legte die grünen Zweige zu den Körben mit den Lilien.
„Treue und Freundschaft?” wiederholte Lydia.
„Die beiden wichtigsten Elemente der Ehe”, antwortete Rosalind. „Und wir zweifeln nicht an Pauls Treue und Freundschaft.”
„Könnte ein ausreichender Ersatz sein”, meinte Lydia seufzend.
Tessa wünschte sich, ihre Großmutter würde schweigen.
„Ein Ersatz?” fragte Rosalind gereizt. „Mutter, wovon um alles in der Welt sprichst du?”
„Ich spreche von einer altmodischen Romanze, heißblütiger Leidenschaft oder Sex! Du kannst es meinetwegen nennen, wie du willst. Meiner Meinung nach war das stets das Wichtigste in einer guten Ehe.”
„Mutter! So habe ich dich noch nie sprechen gehört. Aber natürlich versteht sich das alles von selbst”, behauptete Rosalind verlegen.
„Ach was”, murmelte Lydia verdrossen. „Sind die Männer draußen auf der Terrasse?” fragte sie Tessa. „Bring mich bitte hinaus, meine Liebe, damit ich frische Luft schnappen kann.”
Tessa erging es ähnlich wie ihrer Großmutter. Ihre Brust war wie zugeschnürt, so dass sie
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