Viel zu lange her
Tessa war den Tränen nahe. Wie sollte sie Isaacs Geschenk umlegen, während sie einen anderen Mann heiratete? Das war unmöglich. Und sie ertrug auch nicht den traurigen Ausdruck in seinen Augen oder die Berührung seiner Finger, als er die Kette schloss, oder die Vorstellung, dass er dieses Gold so lange aufgehoben hatte. Und besonders unerträglich war das Schweigen, mit dem ihre Angehörigen und ihr Verlobter alles beobachteten.
Früher hätte dieses Geschenk reine Freude ausgelöst. Jetzt konnte es nur allen im Raum Anwesenden Schmerz bereiten, wenn sie nicht sehr mutig war.
Sie musste verbergen, dass ihr das Herz brach.
Es kostete sie große Mühe, sich von Isaac abzuwenden und Paul anzusehen. Ihr Verlobter wirkte verunsichert. Mit einem matten Lächeln sagte er zu den anderen: „Vermutlich ist Isaac auch eigens nach Broome gereist, um selbst nach den Perlen zu tauchen.” Sein bitteres Lachen geriet außer Kontrolle.
Tessa presste verärgert die Lippen aufeinander. Isaac hatte für einen Abend schon genug bissige Bemerkungen eingesteckt. Doch ihre Angehörigen sahen sie erwartungsvoll an, und ihr blieb nichts anderes übrig, als Paul mit einem strahlenden Lächeln unterzuhaken, als hätte er ihr soeben ein wundervolles Geschenk gemacht.
Nur ungern wandte sie Isaac den Rücken zu, während das Herz an ihrem Hals hing, doch sie erinnerte sich daran, dass er sie schon seit Jahren nicht mehr als seine Geliebte betrachtete. Daher konnte er nichts anderes erwarten.
Doch es tat ihr weh.
Es schmerzte, zu sehen, wie er sich von ihr fe rn hielt und sich der anderen wegen ein höfliches Lächeln abrang. Schließlich lehnte er einen zweiten Kaffee von Rosalind ab, sammelte einige leere Tassen ein und trug sie zur Küche.
„Ich muss einen Anruf machen”, sagte er, bevor er den Raum verließ.
Natür lich kam er nicht wieder, und Tessa bot Paul an, ihn nach Hause zu begleiten. Sie wollte sich bei seinen Eltern für das Hochzeitsgeschenk bedanken. Vor allem aber brauchte sie Ablenkung.
Sie ging mit Paul die Stufen vor dem Haus hinunter. Sobald sie den Weg erreichten, knurrte Satan in Isaacs Wagen, doch sie achteten nicht auf ihn. Über ihnen schien der Mond auf die Felsen des Castle Hill, der sich schwarz vor dem Himmel abzeichnete.
Sie betrachtete Paul beim Gehen. Er war kleiner als Isaac, aber immer noch einen Kopf größer als sie. Und er war keineswegs so massig, wie Isaac behauptet hatte. Seine Figur war nicht sagenhaft, aber ansehnlich. Wichtiger jedoch war, dass Paul Sicherheit und Ordnung darstellte.
Und genau das wünschte sie sich. Nur wenn Isaac in ihrer Nähe war, stellte sie Vergleiche an, die ihr Probleme bereiteten. Auch Paul wurde durch Isaac offenbar aus dem Gleichgewicht gebracht.
Doch jetzt hatten sie fast schon wieder einen Tag geschafft. Nur noch zwei, sagte sie sich, und nach der Hochzeit reist Isaac wieder ab. Dann brauchte sie sich keinerlei Sorgen mehr zu machen und konnte mit Paul ein gutes Leben führen.
Es war nur ein kurzer Fußmarsch zu Pauls Haus. Auf halbem Weg blieb er stehen. Zu ihrer Überraschung war er nicht ruhig und ausgegliche n wie immer, sondern verkrampft und nervös.
„Was ist das nun für eine Geschichte zwischen dir und Isaac Masters?” fragte er.
„Geschichte?” Tessa konnte kaum sprechen. „Das weißt du doch. Er ist mein Ziehbruder. Und er ist zur Hochzeit zurückgekommen. Was für eine Geschichte meinst du?” Sie fröstelte unter einem kühlen Windstoß. Der Winter in Townsville war vergleichsweise mild, doch abends konnte es frostig werden. Oder lag es eher am eisigen Klang von Pauls Stimme?
„Er mag dein Ziehbruder sein, aber ihr seid in keiner Weise miteinander verwandt. Deine Großmutter hat äußerst dezent darauf hingewiesen.”
„Meine Großmutter macht gern anzügliche Bemerkungen”, erwiderte sie rasch.
„Ich erinnere mich an Gerüchte, die vor Jahren über euch beide im Umlauf waren.”
„Na und?” wehrte sie ab. „Es gab auch Gerüchte über dich und Melanie Whitehead. Ich mache deswegen kein Aufhebens.”
Paul betrachtete sie eingehend im Schein einer Straßenlaterne. Sein rundes Gesicht wirkte betroffen.
Nein, sagte sich Tessa, er erinnert mich nicht an eine Eule!
„Vielleicht kommt das daher”, erwiderte er, „dass Melanie Whitehead mittlerweile verheiratet ist, zwei Kinder hat und mit dem dritten schwanger ist.”
„Tatsächlich? Das wusste ich gar nicht. Wo wohnt sie jetzt?”
„In Brisbane.”
„Na bitte”,
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