Viel zu lange her
haben wir gesprochen?”
„Über mich. Genauer gesagt, du hast ihr deine Gefühle für mich erklärt.”
Betroffen zog sie die Hand zurück. Natürlich erinnerte sie sich an diese Unterhaltung. Nichts, was mit Isaac zu tun hatte, konnte sie jemals vergessen.
„Ich kann deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen.”
„Nein, schon gut. Ich erinnere mich.”
„Erinnerst du dich auch daran, dass du Alice sagtest, du würdest mich wirklich gern haben, aber ernst sei es dir mit mir nicht? Eine Heirat mit mir komme nicht in Frage, weil niemand wisse, woher ich komme. Ich sei nichts weiter als ein armer Herumtreiber, ein Straßenjunge, ein Niemand.”
Tessa schüttelte zornig den Kopf. „Nein, Isaac.”
„Doch, Tessa”, versicherte er.
„Nein. Das stimmt nicht. Alice hat dir das garantiert nicht erzählt.”
„Das war auch nicht nötig.”
„Ich verstehe dich nicht”, flüsterte sie und bekam kaum Luft.
„Ich habe dieses Gespräch gehört, Tess. Ich saß ganz in eurer Nähe.”
„Du hast gelauscht?” Ihr wurde so schwindelig, dass sie sich am Holzrahmen des Sofas festhalten musste.
„Ich habe gelauscht, aber es geschah nicht absichtlich. Ich arbeitete an einem Schreibtisch, den ihr durch Bücherregale nicht sehen konntet. Ich wusste nicht einmal, dass du da warst, bis ich dich hörte.”
Sie ließ sich gegen die Rückenkissen sinken und holte tief Atem. Dieses Gespräch hatte sie über die Jahre hinweg verfolgt. Und stets hatte sie bereut, jemals diese Worte ausgesprochen zu haben.
Wenn sie gewusst hätte, dass Isaac zuhörte …
„Wenn du dort warst”, flüsterte sie, „musst du auch gehört haben, was ich danach sagte.”
„Jetzt weiß ich es, aber ich blieb damals nicht. Tess, nachdem du Alice erklärt hattest, dass du mich wegen meiner Herkunft nie lieben könntest, ergriff ich die Flucht. Ich rannte aus der Bibliothek. Ich war viel zu wütend, um auch nur noch einen einzigen Moment länger zu bleiben.”
„Ach, Isaac, das tut mir Leid.” Tessa versuchte, die Tränen zurückzuhalten. „Ich hatte ja keine Ahnung. Hast du wirklich geglaubt, dass ich es ernst meinte?”
„Selbstverständlich, was denkst du denn? Ich habe es mit meinen eigenen Ohren und aus deinem Mund gehört. Weshalb sollte ich daran zweifeln?”
„Du hättest mich darauf ansprechen müssen. Ich kann einfach nicht glauben, dass du nichts gesagt hast, sondern weggelaufen bist. Lieber Himmel, Isaac! Wärst du länger in der Bibliothek geblieben, hättest du alles gehört, und dann wärst du nicht…” Sie sprang auf und schlug entsetzt die Hände vors Gesicht. „O nein! Deshalb bist du fortgegangen? Sag mir, dass das nicht der Grund war!”
Er lehnte sich zurück und schüttelte bedächtig den Kopf. „Nein, Tess, das war nicht der Grund
- zumindest nicht direkt. Kannst du dir vorstellen, ich würde beleidigt wie eine Katze, die einen Fußtritt bekommen hat, fortschleichen? Nur weil mir nicht gefiel, was ich gehört hatte?”
„Das kann ich mir tatsächlich schwer vorstellen”, räumte sie mit einem schwachen Lächeln ein.
„Ich hätte dich zur Rede gestellt, wenn ich mich erst einmal beruhigt hätte”, fuhr er fort.
Tessa setzte sich wieder. „Du hast aber nichts gesagt, abgesehen von den zornigen Worten, mit denen du mich am letzten Tag überhäuf t hast.”
„Ich habe dir vorgeworfen, eingebildet zu sein.”
„Du hast dich erheblich farbiger ausgedrückt.”
„Allerdings”, räumte er ein. „Du hast keine Ahnung, Tessa. All die Jahre über sah ich in dir eine verwöhnte, hochnäsige Verführerin, die nur zu ihrem Vergnügen mit meinen Gefühlen gespielt hatte.” In seiner Stimme schwang Bedauern mit, als bereute er den Schmerz, den er ihr durch sein Weggehen zugefügt hatte. Und seine Miene wurde sanfter, während er sich an die schönen Zeiten erinnerte.
„Und ich hatte von alledem keine Ahnung”, flüsterte sie. Während im Bootshafen nach und nach die Lichter eingeschaltet wurden, betrachtete sie wie gebannt sein Gesicht. Sie konnte nicht anders. Sie musste ihn berühren. Ihre Hand zitterte leicht, als sie seine Wange streichelte. „Ach, Isaac, wie konntest du an mir zweifeln? Ich wollte Alice doch nur Sand in die Augen streuen. Ich wusste, dass Mum sie ständig über uns beide ausfragte.”
Er saß ganz still da, während ihre Finger über seine Wange glitten.
„Wärst du nur etwas länger geblieben, hättest du gehört, dass ich alles zurücknahm! Ich erklärte Alice, dass ich
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