Viele Mütter heißen Anita
»Es geht doch nicht, innerhalb des Herzens oder auch nur am Herzbeutel Gewebe herauszutrennen und durch andere zu ersetzen! Das ist doch eine Utopie! Jedes Gewebe, jede Zelle hat doch eigene Lebensbedingungen! Wenn das so einfach wäre, gäbe es keine Zellenpathologie!«
»Alles richtig, Herr Kollege.« Prof. Moratalla klappte den Herzbeutel wieder über das Herz, schloß den Brustkorb und vernähte den Schnitt nur in der äußeren Schicht grob mit Catgut. »Sie haben gut aufgepaßt auf der Universität.« Dr. Tolax wurde rot, aber Moratalla, der sich die Handschuhe ausgezogen hatte, klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter. »Ich würde in solchen Fällen auch nur die Haut der Herzbeutel überpflanzen.«
»Das hieße, ein Leben für ein anderes zu opfern!«
Moratalla, der sich im Hintergrund die Hände und die Arme mit Seife wusch, schüttelte den Kopf. »Wenn wir die Herzbeutelhaut von eben Gestorbenen herausnehmen, Zellen also, die infolge des Exitus noch keinerlei Degenerationserscheinungen aufweisen, so könnte man – ich sage das rein theoretisch – einen Herzbeutel von seinem Geschwür abschälen und die herausgenommenen Gewebe durch gleichartige ersetzen.« Er trocknete sich die Hände ab und warf das Handtuch dann den beiden Ärzten zu, die sich neben ihm wuschen. Die beiden Krankenträger rollten wieder den toten Fuente in die elektrisch gekühlte Box und deckten das weiße Tuch über den starren Körper. »Es wird unsere Aufgabe sein, meine Herren, dieses Exempel zu erproben. Doktor Albanez?«
»Herr Professor?«
»Sie rufen gleich die Versuchsstelle sechs an und bitten darum, uns spätestens morgen mittag zehn Kaninchen, sechs Affen, zwanzig Meerschweinchen und fünfzig Rattenpaare zu schicken. Ferner rufen Sie bitte Professor Doktor Dalias vom Gesundheitsministerium an und bitten ihn, zu mir zu kommen. Erzählen Sie aber nichts von dem, was wir heute in diesem Keller planten.«
»Selbstverständlich nicht, Herr Professor.«
»Schön. Und Sie, Doktor Tolax, Sie ungläubiger Thomas, Sie werden mir bei allen Versuchen assistieren.«
»Es wird mir eine Freude sein, Herr Professor.«
»Das glaube ich nicht! Es wird viel Nachtruhe kosten – wir werden unsere Affen und Ratten bis in den Morgen beobachten müssen und manchen Tag nicht aus den Kleidern kommen.«
Dr. Tolax streifte sich die Hemdärmel wieder herab und zog die Jacke wieder an. »Wenn Sie es durchhalten, Herr Professor … Ich müßte mich schämen, wenn ich es nicht auch könnte.«
»Brav, Herr Kollege.« Moratalla ging den unfreundlichen, weißen, kalten Gang entlang, stieg die Treppen empor zum Flur und atmete auf, als er die Sonne wieder sah und die Wärme spürte. Vor dem Operationssaal I standen schon die Schwestern und warteten. Die Operationsschwester hatte eine Tafel unter dem Arm, auf der die einzelnen Fälle aufgezeichnet waren, die heute angenommen wurden und dringend schienen.
»Kümmern Sie sich um die Affen und Karnickel«, sagte Moratalla zu Dr. Albanez, der in den Operationsraum wollte. »Ihre kleinen Fälle will ich heute einmal nehmen. Mal was anderes als immer mit dem Tod zu sprechen.«
Er nickte den Assistenten zu und ging durch die große Glastür in den Vorraum, wo bereits die Bahre des ersten Patienten wartete. »Was ist's?« fragte er über die Schulter hinweg. Einer der Assistenten trat vor. »Gallensteine, Herr Professor.«
»Wie nett.« Moratalla beugte sich über die ältere Frau, die angstvoll den Eingriff erwartete. »Na, Señora, soll ich Ihnen die Steinchen aufheben?« fragte er lustig. »In Gold gefaßt, können Sie sie gut als Halskette tragen.« Er lachte, und alle Schwestern und Assistenten lachten mit. Sogar die Kranke – sie wurde lachend in den Operationssaal geschoben, und sie hatte plötzlich keine Angst mehr.
Dr. Tolax und Dr. Albanez sahen dem Professor nach. »Nicht kleinzukriegen, der Alte«, sagte Albanez.
Dr. Tolax nickte.
»Wenn bloß nicht eine Stunde kommt«, sagte er leise, »wo er sich überschätzt …«
Der Pförtner der Staatlichen Kunstakademie Toledo sah den schüch ternen und offensichtlich ängstlichen jungen Mann kritisch an, der draußen vor seinem Guckkasten stand und an der Fassade des Ge bäudes steil emporblickte. Er schob deshalb seine grüne Mütze, die ein dunkelgrünes Samtband verfeinerte, in den Nacken, schob sei nen halb gerauchten Zigarillo in den rechten Mundwinkel und ging hinaus auf die Straße.
Juan sah den Mann mit großen Augen an. Da er auf ihn
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