Viele Mütter heißen Anita
zukam, war es klar, daß er mit ihm sprechen wollte, und wieder durchzog seine Brust das wehleidige Gefühl, nicht zu wissen, was er sagen sollte, und in dieser Stadt völlig fehl zu sein. Er wollte sich schon abwenden und in den Strom der Menschen, die ihrer Arbeitsstätte zustrebten, untertauchen, als ihn der Zuruf des Portiers festhielt.
»Sie sind nicht von Toledo, Señor?« sagte der Portier und tippte an seine Mütze, wie es alle aus seiner Branche tun, wenn sie höflich sein wollen. Denn die Ruhe der Hausmeister ist sprichwörtlich geworden, und ein Hausmeister in Spanien steht einer Concierge in Frankreich in nichts nach.
»Nein, ich komme aus Castilla, aus der Santa Madrona.«
»Das muß aber weit sein, was?«
»Ja, sehr weit …« Juan nickte und steckte die Hände in die Hosentaschen, weil sie ihm plötzlich im Wege waren und er nicht wußte, was er mit ihnen beginnen sollte.
»Und nun sehen Sie sich Toledo an, Señor? Schöne Stadt, was?«
»Ja.«
»Und ein schönes Haus, unsere Akademie, was?«
»Sehr schön. Ramirez Tortosa leitet sie?«
»Ach, Sie kennen den Chef? Ein guter Mann, Señor. Zweimal in der Woche bekomme ich von ihm eine Zigarre, wenn ich ihn abends spät herauslasse. Das macht im Monat acht Zigarren! Und gute Dinger, Señor. Die können wir uns nur hinter der Fensterscheibe der Geschäfte besehen.«
Juan wurde es etwas wohler, als er von der Freundlichkeit Tortosas hörte. In einem Anfall von Mut sagte er deutlich: »Ich möchte zu Herrn Tortosa.«
»Was? Sie?« Der Portier lachte. »Was wollen Sie denn beim Chef?«
»Ich bin bestellt.«
»Ach, und das fällt Ihnen so plötzlich ein, nachdem Sie schon eine halbe Stunde vorm Haus stehen und die Fassade mustern?«
»Sie können ja bei Herrn Tortosa anrufen. Ich heiße Juan Torrico. Er wird mich sofort vorlassen.«
»Nein, das glaube ich nicht!« Der Portier sah Juan mißtrauisch an und ging langsam zu seiner Pförtnerloge zurück. »Soll ich wirklich anrufen?« fragte er, als er sah, daß Juan ihm gefolgt und anscheinend gewillt war, den Spaß auf die Spitze zu treiben.
»Ja. Ich bitte darum.«
»Sie, Señor!« Der Portier beugte sich vor. »Ich rufe an, wirklich, ich tue es! Aber wenn es nicht wahr ist, wenn der Chef Sie nicht kennt und ich mich blamiert habe, dann gibt's eine Ohrfeige, Señor, so wahr ich Cambil heiße!«
Juan willigte nickend ein. Pedro Cambil ergriff den Hörer und drückte eine rote Taste an dem großen Apparat herunter. Dann machte er eine tiefe Verbeugung und sagte mit sonor verstellter Stimme: »Herr Professor, hier ist ein junger Mann, der läßt mir keine Ruhe und will Sie sprechen. Wer er ist? Er heißt« und zu Juan gewandt: »Wie heißen Sie noch mal?«
»Juan Torrico.«
»Juan Torrico«, wiederholte Cambil gleichgültig. Doch dann knickte er in der Magengegend ein und starrte entgeistert auf Juan. Der Hörer entfiel seiner Hand. »Sie sollen sofort zum Chef kommen«, sagte er stockend. »Er wartet schon auf Sie …«
»Und wo ist der Direktor?«
»Zimmer vierunddreißig, im ersten Stock!«
»Danke.«
»O bitte, Señor …«
Der Portier sah Juan kopfschüttelnd nach und wunderte sich über die Dinge auf dieser Welt, die so verworren und sinnlos sind, daß sie einem alten, einfachen Mann den Verstand verwirren. Dann ging er wieder in seine gläserne Loge zurück und las die Morgenzeitung, die immer interessant war, weil Toledo als eine der wenigen Städte Spaniens das Neueste aus Madrid durch eine Funkanlage erhielt. Ja, man war in Toledo modern, trotz der beiden maurischen Tore und der Tradition königlicher Grandezza, die überall, auf den Straßen, in den Lokalen, in den Geschäften, das Gesicht der schönen Stadt am Tajo bestimmte. Man war eine Stadt des Fortschritts, auf die der Caudillo stolz war.
Und auch Pedro Cambil, der Portier der Staatlichen Kunstakademie, gehörte zu dem Inventar dieser Stadt, ein Mann, der bekannt war wie der deutsche Bäcker Peter Volkmann, bei dem es Streuselkuchen gab, oder der chinesische Koch Liu Tsi, in dessen Kneipe der einzige Reisschnaps Spaniens getrunken werden konnte.
Juan stieg langsam die breiten Treppen empor, vorbei an den riesigen Glasfenstern, die einen Blick in den grünen, mit Blumen und weißen Bänken geschmückten Innenhof des Gebäudes freigaben. Dann stand er vor Zimmer 34 und wagte nicht, an die Tür zu klopfen. Ein schönes Mädchen, das mit einer Mappe unter dem Arm aus einer anderen Tür kam, sah ihn lächelnd an und nickte
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