Viele Mütter heißen Anita
bisher nicht kannte und das ihn nun überfiel.
Sie gingen die Uferstraße am Tajo entlang, diesem unruhigen Fluß, der sich in vielen Windungen und Bögen durch das Land Kastilien schlängelt und in seinen kurzen Knicken schöne Plätze für romantische Lokale schafft. So war auch außerhalb Toledos die Taberna des Señors Bonillo ein bekanntes Lokal, wo vor allem junge Paare nach den Klängen einer feurigen Zigeunerkapelle ihre alten und modernen Tänze über das spiegelblanke Parkett tanzten und ab und zu auch einen Flamenco, daß die Röcke flogen und der Zigeunerprimas an seiner Geige vor Schweiß festklebte.
Señor Bonillo war ein dicker Mann, der sein Ruhe liebte. Ob er darum auch sein Lokal in kleine Weinlauben eingeteilt hatte, in denen Liebespaare ungestört waren, wußte man nicht, auf jeden Fall war das Lokal Bonillo sehr beliebt und in Toledo weit gerühmt.
Jacquina schien dieses Lokal zu kennen, oder besser, man kannte sie, denn als sie mit Juan im Vorraum erschien, nickte man ihr wie einer alten Bekannten zu. Juan sah dies nicht – er war verwundert über die in seinen Augen kostbare und märchenhafte Einrichtung des Lokals, da ihm das Gefühl für Flimmer und Talmi fehlte und er das Echte noch nicht vom Unechten unterscheiden konnte. Er sah Marmorwände – aber es war nur Kunststein, er bewunderte vergoldete Leuchter – sie waren aus dem ihm unbekannten Messing – er berauschte sich an dicken Teppichen, und sie waren doch nur eine billige Ware. Zum ersten Male sah er einen Mann im Frack – in den Zeitungen, die er ab und zu in Solana del Pino gelesen hatte, waren sie immer der Gegenstand seines Staunens gewesen – jetzt sah er sie mit eigenen Augen, und die Kellner trugen ihn, und sie sahen so vornehm darin aus, daß man sich schämte, sich von ihnen den Wein servieren zu lassen oder ihnen sogar ein Trinkgeld zu geben. Aber dann blickte er auf Jacquina, die sicher eine freie Weinlaube aussuchte, und Juan setzte sich in die weichen Polster einer Bank, während Jacquina dem Kellner die Bestellung gab. Dann zog der Mann im Frack vor den Eingang der Laube einen bunten, geblümten Vorhang, und sie waren allein, umgeben von der Musik, die etwas gedämpft von dem Podium im Hintergrund des Saales herüberschwang.
Jacquina legte ihren Arm um Juans Hals und drückte sich an ihn. »Nun – siehst du etwas von den Zigeunern?« fragte sie süß. Und Juan schüttelte den Kopf und ergriff plötzlich ihren Kopf, schleuderte die Locken von ihren Augen und preßte seinen Mund auf diese vollen, roten Lippen. Er fühlte, wie sie sich öffneten, wie kleine Zähne an seinen Lippen nagten, und ihn durchrann eine Wildheit und eine Lust, die er nicht zu bändigen vermochte. So hatte ihn noch niemand geküßt, so vollkommen, so offen, so hingegeben … er umschlang den Leib des Mädchens und drückte ihn nach hinten in die Bank. »Jacquina …«, stammelte er. »Was hast du bloß aus mir gemacht … Jacquina …« Er wollte sie wieder küssen, aber sie wich ihm aus und drückte die Haare zurecht.
»Nicht jetzt«, sagte sie leise. »Gleich kommt der Wein. Und wir wollen doch tanzen. Der Abend ist noch lang.«
»Zu lang …«, keuchte Juan. Er hatte seine Finger in ihren Arm gekrallt, es tat ihr weh, sie verzog das Gesicht, aber sie sagte nichts, sie ertrug ihn, weil sie sich an seiner Wildheit berauschte.
»Wir gehen bald«, flüsterte sie und strich ihm über die heiße Stirn. Dann küßte sie ihn wieder, dieses Mal länger und von Schauern durchbebt, und sie spürte mit drängendem Erschrecken, daß seine Lippen kalt waren und das Feuer nur noch durch seine Adern raste.
Dann kam der Wein, der Kellner im Frack servierte ihn in einer geschliffenen Karaffe, in der der Wein sich widerspiegelte, als sei er mit Edelsteinen durchsetzt. Juan goß Jacquina und sich die Gläser voll, stieß mit ihr an und trank das erste Glas lachend mit einem Zug.
»Für dich, du Schönste!« rief er laut, und dann sprang er auf und riß sie empor. »Tanzen!« rief er übermütig. »Ich kann es nicht, aber wenn deine Arme um mich liegen, dann kann ich fliegen wie Ikarus!«
»Ikarus verbrannte sich und stürzte ab«, lachte Jacquina grell. In ihren Augen lag ein Flimmern. »Ich will einen lebenden, siegenden Ikarus haben, Juan!«
»Komm!« schrie er da. »Wir wollen den Toledern zeigen, wie Verliebte tanzen können!«
Er riß den geblümten Vorhang zur Seite und zog Jacquina auf den Gang des Saales hinaus.
An anderen Tischen vorbei
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